Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
sechs Bissen verschlungen. Er lachte, als ich ihn darauf ansprach, dann nahm er den Rucksack ab, setzte sich zu mir und sah sich meine Füße genauer an.
»Deine Stiefel sind zu klein«, sagte er und wiederholte damit das, was mir Greg schon in Sierra City gesagt hatte. Ich sah ihn verständnislos an. Meine Stiefel konnten unmöglich zu klein sein. Ich hatte keine anderen.
»Ich glaube«, sagte ich, »das lag nur an dem langen Abstieg von den Three Lakes.«
»Aber genau das ist der springende Punkt«, erwiderte Brent. »Mit der richtigen Stiefelgröße könntest du jeden Berg runtersteigen, ohne dir die Füße kaputt zu machen. Dafür sind Stiefel ja schließlich da.«
Ich dachte an die guten Leute bei REI. Ich erinnerte mich an den Mann, der mich nur aus diesem Grund im Laden eine kleine Holzrampe rauf- und runtermarschieren ließ: um sicherzustellen, dass die Stiefel den Zehen genug Platz ließen, wenn ich bergab, und nicht hinten an den Fersen rieben, wenn ich bergauf ging. Im Laden hatte ich nicht den Eindruck gehabt. Entweder hatte ich mich geirrt, oder meine Füße waren inzwischen gewachsen. Denn eins ließ sich nicht mehr bestreiten: Solange ich diese Stiefel an den Füßen hatte, durchlitt ich die Hölle auf Erden.
Aber daran war nichts zu ändern. Ich hatte kein Geld für ein neues Paar, und selbst wenn ich es gehabt hätte, hätte ich mir hier keines kaufen können. Ich zog meine Campingsandalen an, kehrte zum Laden zurück, nahm eine Dusche, die mich einen Dollar kostete, und wartete in meinem Regenzeug, bis meine Kleider im Waschsalon gewaschen und getrocknet waren. Ich nutzte die Zeit, um Lisa anzurufen, und war ganz aus dem Häuschen, als sie tatsächlich abhob. Sie erzählte mir, was sie so machte, und ich erzählte ihr vom Trail, soweit das möglich war. Wir gingen zusammen meine Route durch. Nach dem Gespräch trug ich mich ins PCT-Register ein und sah nach, ob Greg hier durchgekommen war. Sein Name stand nicht da. Ich konnte nicht glauben, dass er hinter mir sein sollte.
»Hast du etwas von Greg gehört?«, fragte ich Brent, als ich mit sauberen Kleidern am Leib zurückkehrte.
»Es ist wegen des Schnees ausgestiegen.«
Ich sah ihn verblüfft an. »Bist du sicher?«
»Jedenfalls haben mir das die Australier erzählt. Hast du sie getroffen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ein Brautpaar auf Hochzeitsreise. Aber die hatten vom PCT auch genug. Sie sind abgereist und wollen stattdessen den AT machen.«
Erst nach meinem Entschluss, auf dem PCT zu wandern, hatte ich zum ersten Mal vom AT gehört, dem Appalachian Trail, dem weitaus populäreren und besser ausgebauten Vetter des PCT. Beide wurden 1968 als National Scenic Ways ausgewiesen, als Fernwanderwege von besonderem landschaftlichem Reiz. Der AT ist mit einer Länge von 3500 Kilometer fast 800 Kilometer kürzer als der PCT und durchquert die Appalachen von Georgia bis Maine.
»Ist Greg ebenfalls zum AT?«, fragte ich zaghaft.
»Nein. Er hatte keine Lust mehr, weil er wegen der vielen Umwege und Ausweichstrecken so viel vom Trail verpasste. Er will nächstes Jahr wiederkommen. Haben mir jedenfalls die Australier gesagt.«
»Wow«, sagte ich, traurig über die Neuigkeit. Seit dem Tag, an dem ich Greg getroffen hatte, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als ich beschlossen hatte aufzugeben, war er für mich eine Art Glücksbringer gewesen. Wenn er es schafft, schaffe ich es auch, hatte ich mir gesagt, und jetzt war er fort. Und die Australier auch, ein Paar, dem ich nie begegnet war, von denen ich mir aber sofort ein Bild machte. Ich wusste, ohne es wissen zu können, dass sie durchtrainiert und draufgängerisch waren und aufgrund ihrer australischen Abstammung für das Leben in der rauen Wildnis in einer Weise geeignet, wie ich es niemals sein würde. »Warum willst du nicht lieber auf dem AT wandern?«, fragte ich in der bangen Erwartung, er würde mir verraten, dass er genau das vorhabe.
Er dachte eine Weile darüber nach. »Zu viel Verkehr«, sagte er und betrachtete Bob Marley, dessen Gesicht so groß auf meiner Brust prangte, als habe er noch mehr zu sagen. »Übrigens, das T-Shirt ist echt geil.«
Ich hatte nie einen Fuß auf den AT gesetzt, aber ich hatte von den Jungs in Kennedy Meadows viel darüber gehört. Er kam dem PCT noch am nächsten und war doch in vielerlei Hinsicht ganz anders. Rund zweitausend Leute machten sich jeden Sommer auf, um den AT in seiner ganzen Länge abzuwandern, und nur ein paar hundert schafften es, was
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