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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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kleinen Nachtmahl bewirten lassen. Natürlich erwiderte er solche Höflichkeiten und lud die Nachbarinnen seinerseits zu einer Gastlichkeit ein, so gut er diese mit Hilfe einer alten Küchenmagd aufzubieten vermochte; kurz, es entstand ohne weitern Verzug ein häufiger Verkehr, und das Fräulein sowohl wie Albertus Zwiehan trugen den Schlüssel zum Durchgangstürchen beständig bei sich.
    Bald ließ die Mutter ihre Tochter allein mit dem Fremden, und sie verloren sich in hundert trauliche Gespräche; Cornelia fragte nach allem, was Albertus je erlebt oder ihn sonst betraf; er dagegen fühlte sich durch diese Neugierde und Teilnahme geehrt und beglückt und vertraute ihr alles, um ihre Freundschaft zu erwidern und gewissermaßen sich ganz hinzugeben, ohne allen Rückalt, sein Herkommen, seinen Besitzstand und sein letztes Geheimnis, das letztere einzig mit der Abweichung, daß sein verschollener Halbbruder wirklich ertrunken sei statt nur in einem Traume.
    Die neue Freundschaft verfehlte nicht, ruchbar und als eine bereits abgeschlossene oder wenigstens bevorstehende Verlobung angesehen zu werden. Das bewiesen dem Verliebten einige nicht unterschriebene Briefe, die er nacheinander erhielt und die ihn vor der Verbindung warnten, welche er einzugehen im Begriffe stehe.
    Die beiden Frauenzimmer, hieß es, seien nur scheinbar in guten Umständen; in Wirklichkeit hätten sie nichts oder nicht viel mehr als einen großen Fleiß im Geldborgen, das sie allerdings aus dem Grunde verständen.
    Sie wüßten es allerwärts so einzurichten, daß man nicht davon spreche, indem sie sich immer edeldenkende und verschwiegene Opfer aussuchten, auch im Notfall hie und da etwas zurückzahlten auf Kosten dritter Leute; allein die Sache sei dennoch ein öffentliches Geheimnis, und man könne nicht zusehen, wie ein so ausgezeichneter Mitbürger, dem die besten Häuser sich auftäten, in sein Verderben renne. Denn wo eine Untugend hause, sei die zweite und dritte nicht weit, und der Geldmangel sei aller Sünden Angel. Mehr wolle man nicht andeuten.
    Als Albertus diese Briefe gelesen, wurde er weder betrübt noch zornig, sondern fröhlichen Herzens, weil er sie für Ausflüsse des Neides hielt und als ein Zeichen betrachtete, daß er nur zuzugreifen brauche, da eine Heirat in der öffentlichen Meinung für so wahrscheinlich und nah bevorstehend galt. Von zärtlichem Mitleide bewegt, wünschte er einen angeblichen Notstand der beiden Frauen als wirklich bestehend herbei, um sich als Hilfespender recht weich in die Arme dankbarer Liebe betten zu können. Selbst für den Fall, daß jene in der Tat etwas viel Geld brauchen sollten, entwarf er sofort Pläne, seine Mittel nach Notdurft zu vermehren; er hatte ja ohnedies die Absicht, seine Kenntnis der östlichen Handelsbeziehungen zu verwerten und mit aller Bequemlichkeit und Vorsicht ein Haus zu gründen und eine seinen noch jungen Jahren angemessene Tätigkeit zu eröffnen. Von solchen Gedanken getrieben, schritt er aufgeregt in seiner Wohnstube umher und arbeitete gleichmäßig den Geschäftsplan und das glänzende Bild der Zukunft aus dem Rohen heraus, wobei ihn immer wärmer das Gefühl eines einflußreichen Beschützers und Retters, eines Beglückers und mächtigen Schöpfers aufschwellte. Um auf diesen Wogen einen Augenblick auszuruhen, stellte er sich an ein Fenster und sah zufällig, wie gegenüber die Spinnerin, die er ganz vergessen, in den Erker trat und ebenso zufällig ihn erblickte, ehe sie sich an ihr Rädchen setzte. Schon hatte sie, wie gewöhnlich, ihm wieder den Rücken zugekehrt, der ihm so wohlbekannt war, als sie nochmals umschaute und, mit einem langen Blick ihn betrachtend, das mysteriöse Gesicht nun voll und ruhig zeigte, das er vorhin nur wie einen Blitz hatte aufleuchten gesehen. Das Antlitz, fast herzförmig, endigte in ein feines kleines Kinn und schien eher wie eine Miniatur auf weißes Elfenbein gemalt als aus Fleisch und Blut zu bestehen; nur der Mund war rötlich wie ein geschlossenes Rosenknöspchen, das viel kleiner erschien als die großen dunklen Augen, und alles dies umgab fremdartig eine Hülle von Batistleinwand. Endlich wandte sie sich wieder ab und setzte ihr Rad in Gang; aber als ob sie spürte, daß die Augen des Nachbars an ihr hängenblieben, erhob sie sich und ging nach der dämmernden Tiefe des Zimmers. Dort öffnete sie die Türe und schritt einen von der Abendsonne durchleuchteten Korridor entlang, bis sie in der jenseitigen Dämmerung wie ein

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