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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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aus ihr geworden? rief es in mir, und das Heimweh nach ihr machte mich plötzlich munter. Im hellsten Tageslicht sah ich sie vor mir stehen und gehen, aber ich sah keine Erde unter ihren lieben Füßen, und es war mir, als ob ich das Beste, was ich je gehabt und noch haben könnte, gewaltsam und unwiederbringlich mit ihr verloren hätte.
    Ich dachte an die Flucht der räuberischen Zeit, seufzte und schüttelte leise den Kopf, und erst jetzt wurden durch den Klang der Schellen meine Gedanken ganz wach und geordnet, daß ich endlich auch der Mutter gedachte, freilich nur wie eines Selbstverständlichen und Unverlierbaren, wie eines guten Hausbrotes; denn daß ein solches eines Tages am ehesten abhanden kommen kann, hatte ich noch nicht erfahren. Dennoch dachte ich mit ziemlichem Ernste an die Frau in der stillen Stube; schon ging ich in meinem zweiundzwanzigsten Jahre, und noch hatte ich ihr keine klare Rechenschaft ablegen können über den Stand meiner irdischen Aussichten, über die Frage des Fortkommens in der Welt. Rasch rückte ich das Täschchen herum, das an meinem Gurte hing und neben dem Schnupftuch und anderen Dingen einen Teil der letzten Barschaft enthielt, die ich noch zu verzehren und die mir die Mutter, wie die früheren Summen, pünktlich und getreulich vor kurzer Zeit gesendet hatte. Freilich nützte das Zählen jetzt nichts, und ich schob die Tasche wieder zurück, verhehlte mir aber nicht, daß meine kleine Hausvorsehung zu Hause die Teilnahme an dem Feste nicht billigen werde.
    Das Narrenkleid kostete zwar nicht viel, und ich hatte es auch hauptsächlich aus diesem Grunde gewählt; dennoch konnte die Stunde kommen, wo ich den bescheidenen Betrag bitter entbehren mußte. Doch jetzt verstand ich besser als die Mutter, was nötig und ersprießlich war für einen jungen Gesellen, besonders als ein frisches Lied aus dem Lager der Freude herübertönte. Ich schüttelte abermals den Kopf, daß die Schellen klangen, sprang auf und eilte davon.
    Ich trieb mich vergnüglich herum und machte allerlei Gänge in die Landschaft hinein, bald mit anderen, bald allein. Gegen Mittag lief ich dem stattlichen Erikson in die Hände, der eben aus der Stadt geschritten kam. Unser erstes Gespräch war das Benehmen unsers Freundes Lys. Erikson zuckte die Achsel und sagte nicht viel, während ich mein Erstaunen ausdrückte und viele Worte machte, wie jener so schmählich handeln könne. Ich ergoß mich im schärfsten Tadel und um so lauter, als ich das dunkle Gefühl empfand, ich sei bei der verwirrten Umhalsung Agnesens in verwichener Nacht einer unerlaubten Anwandlung nur mit Not entgangen. Meine Selbstgerechtigkeit stand ja auf festen Füßen, weil ich durch das erwachte Andenken an Judith und ein starkes Heimweh nach ihr mich jetzt sicher fühlte. Und allerdings war es eigentümlich, daß Erlebnisse, die in vergangenen Tagen gefährlich und ungehörig für mich gewesen, jetzt dazu dienen mußten, mich gegen Verlockungen der heutigen Stunde zu schützen.
    »Ich will wetten«, unterbrach mich Erikson, »daß er das arme Ding heute sitzenläßt und nicht mitbringt. Wir sollten ihm aber einen Streich spielen, damit er zur Vernunft kommt. Nimm einen Wagen, fahre in die Stadt und sieh ein wenig zu! Findest du den Tollkopf nicht zu Hause noch bei dem Mädchen, so bring dieses ohne weiteres mit, und zwar in Rosaliens Namen und Auftrag, so kann die Mutter nichts dagegen haben; ich werde das verantworten. Zu Lys wirst du nachher einfach sagen, daß du für deine Pflicht gehalten, dem Gebote nachzukommen, da er dir die Schöne in letzter Nacht so beharrlich anvertraut.«
    Ich fand diesen Einfall nur in der Ordnung und fuhr sogleich in die Stadt.
    Auf dem Wege begegnete ich Lys, der ganz allein in einer Kutsche saß, in einen warmen Mantel gehüllt; die kegelförmige Königsmütze mit ihren Anhängseln, der wunderlich gelockte schwarze Bart verrieten aber genugsam den festschwärmenden Nachzügler.
    »Wohin willst du?« rief er mir zu. »Ich soll«, erwiderte ich, »dich aufsuchen und sehen, daß du das gute Mädchen Agnes mitbringst, im Falle du es nicht ohne hin tun würdest! Dies scheint nun so zu sein, und ich will sie holen, wenn du nichts dagegen hast, und in deinem Namen. Eriksons schöne Witwe wünscht es.«
    »Tu das, mein Sohn!« sagte Lys möglichst gleichgültig, obschon er sichtlich etwas überrascht war. Er hüllte sich dichter in den Mantel, indem er seinem Kutscher barsch befahl weiterzufahren, und ich hielt bald

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