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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Aristobulos Ursiclos, der, den Kopf in den Wolken
    hoher Wissenschaft verborgen, für eine einfache optische
    Erscheinung nichts als Verachtung hatte. Beide verstanden
    sich und beide wollten nun einmal zu den wenigen Auser-
    wählten gehören, die der Grüne Strahl mit seinem Erschei-
    nen beehrt hatte.
    »Wir werden ihn noch sehen, Miss Campbell«, wieder-
    holte Olivier Sinclair, »wir werden ihn sehen, und wenn ich
    ihn selbst anzünden müßte! Es war ja mein Fehler, daß er
    Ihnen beim ersten Mal entging, und ich bin ebenso schul-
    dig, wie jener Mr. Ursiclos . . . Ihr Verwandter . . . wenn ich
    nicht irre?«
    »Nein, mein Bräutigam . . . wie es scheint . . .« antwortetet
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    heute Miss Campbell und entfernte sich mit einiger Hast,
    um sich ihren Onkeln anzuschließen, die unfern von ihr
    gingen und sich die unvermeidliche Prise anboten.
    Ihr Bräutigam? Es war eine eigentümliche Wirkung,
    welche diese einfache Antwort und besonders der Ton, in
    dem sie gegeben wurde, auf Olivier Sinclair hervorbrachte.
    Doch, warum hätte jener junge Pedant kein Bräutigam sein
    können? Unter dieser Voraussetzung erklärte sich wenigs-
    tens seine Anwesenheit in Oban. Daß er das Unglück haben
    mußte, sich zwischen die untergehende Sonne und Miss
    Campbell zu stellen, daraus folgte doch noch nicht . . . was
    folgte daraus noch nicht? Olivier Sinclair wäre sehr in Ver-
    legenheit gekommen, das zu sagen.
    Nach zweitägiger Unsichtbarkeit war Aristobulos Ursi-
    clos übrigens wieder auf der Bildfläche erschienen. Olivier
    Sinclair beobachtete ihn zuweilen in Gesellschaft der Brü-
    der Melvill, die ihm unmöglich mehr zürnen konnten. Er
    schien mit ihnen auf bestem Fuß zu stehen. Wiederholt wa-
    ren sich auch, entweder am Strand oder im Salon des Cale-
    donian-Hotels, der junge Gelehrte und der junge Künstler
    selbst begegnet. Die beiden Onkel hatten es nun doch für
    angezeigt gehalten, sie einander vorzustellen.
    »Mr. Aristobulos Ursiclos aus Dumfries!«
    »Mr. Olivier Sinclair aus Edinburgh!«
    Die beiden jungen Leute begnügten sich mit einer sehr
    mittelmäßigen Begrüßung, einer leichten Neigung des
    Kopfs, woran der etwas zu steif gehaltene Körper nicht teil-
    nahm. Allem Anschein nach konnte zwischen diesen bei-
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    den Charakteren niemals irgendeine Sympathie aufkom-
    men. Der eine durchmusterte den Himmel, um ihm bildlich
    seine Sterne zu rauben, der andere um deren Elemente zu
    berechnen; der eine, der Künstler, ließ sich nicht verleiten,
    auf dem Piedestal der Kunst Stellung zu nehmen; der an-
    dere machte aus seiner Wissenschaft ein Piedestal, von dem
    herab er Vorlesungen hielt.
    Was Miss Campbell betrifft, so schmollte sie noch im-
    mer mit Aristobulos Ursiclos. Wenn er anwesend war,
    schien sie ihn gar nicht zu bemerken, wenn er vorüberkam,
    wendete sie sich erkennbar weg. Mit einem Wort, und wie
    wir bereits oben geschildert haben, sie ›schnitt‹ ihn mit al-
    ler Schärfe britischer Förmlichkeit. Die Brüder Melvill hat-
    ten genug Mühe, die Stückchen von ihm zusammenzulesen.
    Doch wie dem auch war, alles würde sich ja, ihrer Ansicht
    nach, zum Besten wenden, wenn dieser launenhafte Strahl
    sich ein einziges Mal sehen lassen wollte.
    Dann und wann betrachtete Aristobulos Ursiclos den
    hübschen Olivier Sinclair über seine Brille hinweg, wie es
    Kurzsichtige zu tun pflegen, die etwas sehen wollen, ohne
    es sich anmerken zu lassen. Und was er da bemerkte, die
    unverdrossene Zuvorkommenheit des jungen Mannes ge-
    genüber Miss Campbell, die Liebenswürdigkeit, mit der das
    junge Mädchen ihm bei jeder Gelegenheit entgegenkam,
    all das war nicht besonders geeignet, ihm zu gefallen. Doch
    hielt er sich, seiner Sache gewiß, stets reserviert.
    Bei dem ständig so ungewissen Himmel und vor einem
    Barometer, dessen beweglicher Nadel es niemals einfiel, ei-
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    nen festeren Stand einzunehmen, fühlten übrigens alle ihre
    Geduld auf eine sehr harte Probe gestellt. In der Hoffnung,
    einen dunstfreien Horizont zu finden, und wäre es auch nur
    für wenige Augenblicke zur Zeit des Sonnenuntergangs, un-
    ternahm man noch zwei bis drei Ausflüge auf die Insel Seil,
    an denen Aristobulos Ursiclos nicht teilnehmen zu sollen
    glaubte.
    Vergebliche Mühe! Der 23. August kam heran, ohne daß
    das Phänomen sich herabgelassen hätte, zu erscheinen.
    Diese Phantasie nahm allmählich die Form einer fixen
    Idee an, die einer anderen gar keinen Raum ließ. Das stei-
    gerte sich bis

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