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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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machte sich allmählich – eine Folge der
    Strahlenbrechung – eine Formveränderung der Kugel be-
    merkbar; sie verbreiterte sich auf Kosten ihres senkrech-
    ten Durchmessers und erinnerte an die Form einer etruri-
    schen Vase mit ausgebauchten Seiten, deren Fuß ins Wasser
    tauchte.
    Daß die Erscheinung heute zustande kommen mußte,
    unterlag gar keinem Zweifel. Nichts trübte den wunder-
    bar schönen Untergang des strahlenden Gestirns! Nichts
    konnte seine letzten Strahlen aufhalten.
    Bald verschwand die Sonne zur Hälfte unter der Linie
    des Horizonts. Einzelne Lichtbündel trafen wie abgeschos-
    sene goldene Pfeile die ersten Felsen von Staffa.
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    Weiter rückwärts färbten sich das steile Ufer von Mull
    und der Gipfel des Ben More mit glühendem Purpur.
    Endlich überragte nur noch ein ganz schmaler Kreisab-
    schnitt des oberen Bogens die Wasserlinie.
    »Der Grüne Strahl! Der Grüne Strahl!« riefen wie aus
    einem Mund die Brüder Melvill, Mrs. Bess und Patridge,
    deren Augen eine Viertelsekunde lang den unvergleichlich
    schönen Eindruck der Farbe flüssigen Nephrits empfangen
    hatten.
    Nur Olivier und Helena hatten nichts wahrgenommen
    von der Erscheinung, die sich endlich, nach so vielen frucht-
    losen Beobachtungen zeigte.
    In dem Augenblick, wo die Sonne ihren letzten Strahl
    auf das hier sichtbare Erdenrund entsendete, kreuzten sich
    die Blicke der jungen Leute, und beide vergaßen sich, gewiß
    versunken in dieselbe Betrachtung.
    Helena hatte ja den dunklen Strahl gesehen, der aus den
    Augen des jungen Mannes blitzte; Olivier den blauen, der
    jenem aus den Augen des jungen Mädchen entgegenkam.
    Die Sonne war nun völlig verschwunden – weder Olivier
    noch Helena hatten den Grünen Strahl gesehen!

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    — 283 —
    23. KAPITEL
    Schluß
    Am folgenden Tag, dem 12. September, lichtete die ›Clo-
    rinda‹ bei ziemlich ruhigem Meer und günstiger Brise die
    Anker und segelte vom Archipel der Hebriden nach Süd-
    westen. Bald verschwanden Staffa, Iona und die Spitze von
    Mull hinter der hochsteigenden Küste der großen Insel.
    Nach glücklicher Überfahrt landeten die Passagiere der
    Yacht in dem kleinen Hafen von Oban, dann kehrten sie mit
    der Eisenbahn von Oban nach Dalmaly und von da nach
    Glasgow fahrend durch den reizvollsten Teil des schotti-
    schen Hochlands nach dem Cottage bei Helensburgh zurück.
    18 Tage später fand in der St.-Georgs-Kirche zu Glasgow
    eine feierliche Zeremonie statt, doch wir brauchen wohl
    kaum zu bemerken, daß sie nicht die Trauung Aristobulos
    Ursiclos’ mit Miss Campbell betraf. Aber obgleich jetzt Oli-
    vier Sinclair die Rolle des glücklichen Bräutigams einnahm,
    erschienen die Brüder Sam und Sib darum nicht minder be-
    friedigt als ihre Nichte.
    Es ist überflüssig, dabei zu verweilen, daß die unter so au-
    ßerordentlichen Umständen geschlossene Verbindung alle
    Bedingungen dauernden Glücks erfüllte. Das Landhaus bei
    Helensburgh, das Hotel in der West George Street in Glas-
    gow, ja, die ganze Welt hätte kaum gereicht, das Glück zu
    umfassen, das in der Fingalshöhle zur Blüte gekommen war.
    Den letzten auf dem Plateau von Staffa verbrachten
    Abend wagte Olivier Sinclair, obwohl er das so beharrlich
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    gesuchte Phänomen nicht selbst beobachtete, doch in dau-
    ernder Weise zu fixieren. So stellte er eines Tages einen
    ›Sonnenuntergang‹ voll eigenartiger Wirkung aus, an dem
    jedermann besonders einen merkwürdig intensiven grü-
    nen Strahl bewunderte, der mit flüssigem Smaragd gemalt
    zu sein schien.
    Dieses Bild erweckte neben der Anerkennung auch leb-
    hafte Verhandlungen. Die einen behaupteten, es zeige einen
    prachtvoll wiedergegebenen natürlichen Effekt, während
    die andern meinten, daß die Natur selbst einen solchen Ef-
    fekt niemals hervorbringe.
    Die beiden Onkel, die diesen Strahl aus eigener Anschau-
    ung kannten und dem jungen Maler natürlich recht gaben,
    gerieten darüber nicht wenig in Entrüstung.
    »Ja, es ist sogar viel angenehmer«, erklärte Bruder Sam,
    »den Grünen Strahl gemalt . . .«
    ». . . als in der Natur zu sehen«, fuhr Bruder Sib fort,
    »denn man zieht sich durch Betrachtung aller einzelnen,
    beim Sonnenuntergang auftretenden Farben nur die ab-
    scheulichsten Augenschmerzen zu.«
    Und sie hatten damit recht, die wackeren Brüder Mel-
    vill.2 Monate später gingen die jungen Ehegatten und ihre
    Onkel vor dem Park des Landhauses am Ufer des Clyde
    spazieren, als sie ganz

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