Der grüne Tod
Hause?«
Eine gute Frage. »Auf Moth. Der dortigen Hauptstadt Drallar.«
»Ah, davon habe ich schon mal gehört. Ein ziemlich eigenwilliger Ort, glaube ich. Nicht so offen für die Kirche wie einige andere.«
»Mir gefällt die Freiheit, die er seinen Bewohnern lässt«, entgegnete Flinx.
»Ich werde dafür beten, dass sie Ihnen erhalten bleibt, mein Sohn.« Sie bogen in einen anderen Korridor ein. »Mit welchem Schiff werden Sie abreisen?«
»Ich kann mich leider nicht daran erinnern, Pater.« Nach all den vielen Jahren der Übung ging Flinx diese Lüge recht leicht über die Lippen. »Dazu müsste ich in den Unterlagen in meinem Gepäck nachschauen.«
»Und was ist Ihr Flugziel? Nein, vergessen Sie, dass ich gefragt habe.« Etwas verlegen winkte der ältere Mann ab. »Es geht mich nichts an.«
»Schon in Ordnung. Sie können ruhig wissen, dass ich nach Hause fliege.« Sie ließen einen Büroraum nach dem anderen links und rechts liegen und kamen schließlich, nachdem sie eine Rampe hinuntergegangen waren, an einer lärmenden Kinderkrippe vorbei.
Im Grunde war das nicht einmal gelogen, sinnierte Flinx. War er doch gewissermaßen tatsächlich auf dem Weg nach Hause. Nicht heute, oder morgen, und auch nicht im kommenden Monat. Nicht einmal, aller Voraussicht nach, in absehbarer Zeit. Aber letzten Endes doch.
»Ich wünsche Ihnen jedenfalls eine gute Reise, junger Mann. Ich hoffe, dass Sie keine Schwierigkeiten mehr haben werden.«
»Damit werde ich schon fertig. Ich bin daran gewöhnt. Schon vergessen? Ich musste ziemlich schnell erwachsen werden, Pater.«
In der Stimme des jungen Mannes lag etwas so unbeschreiblich Trauriges, dass Pater Bateleur bereits erwog, ihm vorzuschlagen, noch ein wenig zu bleiben und weiterzuplaudern, vielleicht danach bei ihm zu Hause im Kreise seiner Familie zu Abend zu essen. Trotz des Selbstvertrauens, das der junge Mann nach außen hin ausstrahlte, und dessen offenkundigen Scharfsinns blieb Pater Bateleur nicht verborgen, dass sein Besucher dringend ein wenig Trost und Zuwendung brauchte. Irgendetwas in ihm schrie verzweifelt um Hilfe, und so sehr er sich auch den Kopf darüber zerbrach, Bateleur konnte nicht erahnen, warum.
Er kam nicht dazu, dem jungen Besucher sein Angebot zu unterbreiten. Schon waren sie an dem Hinterausgang angelangt, und Flinx verabschiedete sich. Wie erwartet lag die hintere Zulieferstraße völlig verlassen da.
»Von hier aus gehen Sie einfach ein paar Blöcke weiter geradeaus«, erklärte Bateleur. »Dann kommt ein großes Tor, durch das Sie in eine der unteren Ebenen eines größeren Einkaufskomplexes in der Innenstadt gelangen. Dort herrscht immer ein dichtes Gedränge, sodass es nicht schwierig sein sollte, in der Menge unterzutauchen. Ich würde Ihnen allerdings empfehlen, Ihre kleine Freundin zu verstecken, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen, aber ich nehme an, dass Sie das sowieso immer tun.«
Flinx nickte.
»Nur für den Fall, dass Sie Ihre Meinung ändern sollten und doch noch ein wenig länger bleiben möchten«, fügte Bateleur hinzu, »meine Frau und ich haben in unserem Haus jede Menge Platz. Sie finden es auf einer Insel flussaufwärts und –«
»Vielen Dank«, erwiderte Flinx mit einem warmen Ton in der Stimme, »aber ich muss immer unterwegs zu sein. Ich fühle mich einfach besser dabei, wie ein Vagabund umherzuziehen.«
Bateleur blickte dem groß gewachsenen jungen Mann hinterher, bis seine schlaksige Gestalt in den Schatten verschwunden war. Sodann verschloss er die Tür und machte sich wieder auf in sein Büro, nur knapp die Grüße und Zurufe von Amtskollegen und Mitarbeitern erwidernd, die ihm unterwegs begegneten. Wie er so vor sich hinschritt, wurde er von einem ungewohnt heftigen Gefühl innerer Zufriedenheit durchströmt, in etwa dem mentalen Äquivalent des körperlichen Wohlbehagens, das man vor einer wärmenden Infrarotlampe empfindet. Einmal schaute er sich mit zusammengekniffenen Augen misstrauisch um, doch da war niemand.
Er bog nach links ab und betrat das Sanktuarium. Dort kniete er nieder und begann zu beten. Nicht nur für die Sicherheit seines kürzlichen Besuchers, so, wie er es versprochen hatte, sondern ebenso um Führung und Erleuchtung.
Danach kehrte er in sein Büro zurück und aktivierte den nächststehenden Bildschirm. Das integrierte Aufzeichnungsgerät hatte automatisch alles abgespeichert, was sich innerhalb seines Erfassungsbereiches zugetragen hatte – von der Ankunft des jungen Mannes
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