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Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist

Titel: Der gute Psychologe - Shpancer, N: Der gute Psychologe - The good Psychologist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noam Shpancer
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einnehmen wollen, die Angst aus, erwachsen zu werden, einen Prozess der Verweigerung zur Reife.
    Nun verbringen junge Therapeuten eine Menge Zeit damit, sich über den Inhalt einer Therapie Sorgen zu machen: Was sagt man richtigerweise in einem bestimmten Moment? Diese Aufmerksamkeit für den Inhalt ist zwar wertvoll, lässt jedoch die Rolle des Prozesses unberücksichtigt. Ein guter Psychologe weiß, dass eine Veränderung – eine jede Veränderung innerhalb bekannter Grenzen – an sich schon von therapeutischem Wert ist, denn sie bringt den Boden ins Wanken, mischt bestehende Systeme auf und beschert uns eine neue Erfahrung. Dem Klienten eine neue Richtung zu präsentieren, zeigt ihm, dass es andere Richtungen gibt, und beweist implizit einen gewissen Mut gegenüber der Welt: Experimentieren ist erlaubt. Ein Aufrütteln, jedes Aufrütteln, fördert wichtige Informationen über den Klienten zutage, darüber, wie er sich Neuem gegenüber verhält. Der Prozess der Intervention wird sich möglicherweise unabhängig vom Inhalt dieser Intervention auf den Klienten auswirken. Das wollen wir üben. Ein Paar ist mitten in einem Dialog. Wo befinden sie sich?«
    »Im Schlafzimmer«, sagt Jennifer, die sich zu ihrem Stuhl geschlichen hat, leise.
    »Das ist das physische Wo. Wo befinden sie sich mental?«
    »Verlobt«, sagt sie. »Sie haben eine Beziehung, ein junges Paar.«

    »Ja, das ist das soziale und psychologische Wo. Was ist der Inhalt?«
    »Sie ist wütend …«
    »Wütend ist nicht was, sondern wie. Was sagt sie? Wie lauten ihre Worte?«
    »Sie sagt, es ist mein großer Tag, und ich möchte auf jedem Tisch weiße Rosen. Vielleicht ist das für dich nicht wichtig, aber mir bedeutet es viel. Und wenn es für mich wichtig ist, sollte es auch für dich wichtig sein. Wir heiraten, falls du das noch nicht bemerkt hast. Ich hänge den ganzen Tag am Telefon, und dann gibt es da eine Kleinigkeit, die mir wichtig ist, die ich mir wünsche, und plötzlich ist kein Geld mehr da. Es ist Geld da, um deinen Freund aus Vermont einzufliegen, der ganz zufällig der Bruder deiner Exfreundin ist; dafür ist Geld da, nicht aber für Rosen …«
    »Ja, das ist der Inhalt. Was ist der Prozess?«
    »Ein Scheidungsverfahren«, murmelt Eric kaum hörbar.
    Das pinkhaarige Mädchen kichert verhalten.
    »Was ist der Prozess?«
    »Ein Konflikt«, sagt Jennifer beinahe flüsternd. Sie zupft geistesabwesend an ihren Manschetten, um ihre dünnen Arme zu bedecken. Der Psychologe registriert diese Geste und vermerkt sie innerlich.
    »Grundsätzlicher«, beharrt er.
    »Sie sind in einem Dialog«, sagt sie.
    »Noch grundsätzlicher.«
    »Monolog.«
    »Welcher Art?«
    »Der Selbstprüfung«, sagt Jennifer.
    »Genauer.«
    »Des Selbstzweifels.«

    »Ja«, sagt der Psychologe und lächelt ihr zu, »allmählich hören Sie die Musik. In unserem Umgang mit der Welt spiegelt sich in gewisser Weise immer unser Umgang mit uns selbst.« Er wendet sich an die Studenten. »Jennifer ist mutig. Jennifer hat soeben etwas über sich selbst herausgefunden. Danke, Jennifer. « Sie sieht ihn entgeistert an, als ginge ihr gerade zum ersten Mal die Bedeutung ihrer eigenen Worte auf.
    »Es ist also geboten, sich sowohl um den Inhalt als auch um den Prozess zu kümmern«, fährt er fort. »Und gleichzeitig sollten wir auch darauf achten, wie unsere Klienten ihre Themen darstellen, wie der Klient das Problem für sich selbst definiert. Welche Linse benutzt er, um die Szene einzufangen? Bedenken Sie, wenn Sie sie heranzoomen, wird sogar eine kleine Gruppe von Fans den ganzen Bildschirm ausfüllen und daher, in Ihren Gedanken, auch das ganze Stadion. Doch wenn Sie etwas wegzoomen, werden Sie feststellen, dass das Stadion bis auf eine kleine Krawallgruppe treuer Fans leer ist. Die Bedeutung der Situation ist eine völlig andere. Nehmen wir einmal an, Sie, Eric, wären Sklave und unglücklich deswegen. Wie werden Sie Ihre missliche Lage darstellen? Sie könnten sich sagen: Ich muss einen guten Herrn finden. Oder Sie könnten sagen: Ich muss frei sein, mein eigener Herr. Die Art und Weise, wie Sie Ihr Problem definieren, wird die Richtung Ihrer Bemühungen bestimmen und damit den Verlauf Ihres Lebens. Deshalb ist es wichtig, dem Klienten zu helfen, eine bessere, brauchbarere und mitfühlendere Darstellungsweise zu finden. Die Bedeutung eines jeden Ereignisses ergibt sich daraus, wie es dargestellt wird. Eric, Sie kommen um zwei Uhr morgens von einer Sauftour mit Ihren Kumpanen

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