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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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eine Elfzimmerwohnung auf den Champs-Élysées: Zu seinem hohen Gehalt zahlte ihm die amerikanische Regierung noch zehn Prozent Auslandszuschlag. Nur wenn Vater Dienstreisen unternahm, erhielt er sein vollständiges Gehalt. Er kämpfte mutig gegen den westlichen Einfluss in der UNESCO , und als Personalchef tat er alles, damit die UNESCO zu einer antiamerikanischen Organisation der Dritten Welt wurde.
    Gleichzeitig war ein unsichtbarer Kampf an einer anderen, inneren Front im Gange: Innerhalb der sowjetischen Kolonie in Paris verwandelte sich Vater in eine autonome Republik. Er war jetzt ein internationaler Beamter von hohem Rang, formal unabhängig vom sowjetischen Staat, traf eigenständige Entscheidungen, befand sich in internationaler Gesellschaft: Seine Untergebenen wie auch sein Vorgesetzter waren Ausländer. Er gewöhnte sich an einen anderen, einen dynamischen und eleganten Arbeitsstil, wurde Mitglied in einem angesehenen Tennisclub, wo er mit Engländern spielte, fuhr das neueste Modell des Citroën DS. Er lebte nicht so luxuriös wie sein amerikanischer Kollege, aber respektabel, in einem bourgeoisen Haus mit Concierge, in einer bourgeoisen Wohnung im siebten Arrondissement an der Place François Xavier. Abends strahlten die Scheinwerfer des Eiffelturms in seine Fenster. Tscherwonenko, der neue Botschafter der UdSSR , der Loire-Schlösser als Laura-Schlösser bezeichnete, rief bei ihm zurückhaltende Verachtung hervor, und er vermied es, ohne zwingende Notwendigkeit in der Botschaft zu erscheinen. Nicht nur ganz Frankreich, die ganze Welt war ihm nun zugänglich. Ihm war die Ruhe eines gestandenen fünfzigjährigen Mannes anzumerken. An einem Sonntag nahmen Mutter und er mich mit nach Roissy, wir fuhren geradewegs in die Normandie, ans Meer und zu den Felsen im Nebel – um den Impressionismus in der Natur zu genießen. Er verwirklichte den Traum seiner Jugend – er reiste: Er fuhr nach Spanien, flog mit einer internationalen Delegation um die halbe Welt, auf Sri Lanka geriet er in ein Wespennest, in Irkutsk wurde er Zeuge, wie ein Passagierflugzeug auf der Landebahn zerschellte, wovon er durchaus ruhig erzählte, als handelte es sich um ein unausbleibliches Ereignis von internationaler Dimension. Er bewies mutiges Verhalten, das seinen inneren Zustand offenbarte und zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten verhieß. Als sein Mitarbeiter, ein Franzose russischer Herkunft mit dem interessanten Namen Alexander Blok, unter dem durchsichtigen Pseudonym Blo in Paris ein Buch über Mandelstam veröffentlichte, in dem das Thema Sowjetmacht nicht übergangen werden konnte, stand Vater vor einem Dilemma: Blok hatte die UNESCO -Statuten verletzt, die es ihren Mitarbeitern nicht gestatteten, ohne vorherige Genehmigung der Organisation irgendeiner kommerziellen Tätigkeit nachzugehen. Sollte er ihn bestrafen oder Gnade walten lassen? Mama, die das Buch mit dem Bleistift in der Hand gelesen hatte, fand darin nichts primitiv Antisowjetisches, vergoss ein paar Tränen über das Schicksal des Dichters und bat Vater um Gnade für den Autor. Vater vertuschte die Sache.
    In ein noch größeres Dilemma geriet Vater, als Leonid Iljitsch Breshnew Frankreich einen Staatsbesuch abstattete und ihm den Orden der Völkerfreundschaft verleihen wollte. Laut Gesetz der UNESCO hatte ein internationaler Mitarbeiter kein Recht, von irgendeinem Staat, und sei es der eigene, eine Auszeichnung anzunehmen. Vater war sich dessen bewusst, dass Leonid Iljitsch wichtiger war als die UNESCO , und willigte ein, den Orden hinter verschlossenen Türen im konspirativen Milieu der Botschaft in Empfang zu nehmen. Breshnew überreichte Vater den Orden und schickte sich an, ihn nach kräftiger Umarmung, seiner Gewohnheit entsprechend, auf den Mund zu küssen. Vater erzählte mir damals gutmütig, dass er im allerletzten Moment dem Zarenkuss ausgewichen sei und Breshnew die nach französischem Rasierwasser duftende Wange hingehalten habe.
    Als Vater in Pension ging, wollte er das Geld, das ihm die UNESCO auszahlte, an die sowjetische Staatskasse abgeben. Es kostete mich Ende der achtziger Jahre nicht wenig Mühe, ihn zu überreden, das Geld zu behalten und auf mein Pariser Konto zu überweisen. Vater konnte sich nur schwer überwinden, darauf einzugehen, womit er sich und Mutter vor einer armseligen postsowjetischen Existenz bewahrte, obwohl er als Personalchef die UNESCO -Pension gekürzt hatte, ohne zu ahnen, dass ihn das selbst betreffen würde. Im Alter

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