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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Leidenschaft, und die hieß »Tennis«. Tennis – das waren die Pausenzeichen in seinem Leben. Im Winter spielte er im regierungseigenen Haus an der Moskwa über dem Estradentheater. Das galt als so prestigeträchtig, dass es besser gar nicht mehr ging. Papa hatte sich in Paris ein spezielles Köfferchen für Tennisschläger und Tenniskleidung gekauft: Es war sehr lang und dunkelblau, mit einem kleinen silbernen Schloss, das ein russischer Dieb mit einem Zahn hätte durchbeißen können. Das Köfferchen beflügelte die Fantasie der Moskauer, die nicht wussten, dass solche Gegenstände tatsächlich existierten. Einmal trat auf der Gorki-Straße ein Mann auf ihn zu und wollte ihm das Saxofon abkaufen. Papa lachte sehr, als er diesen Vorfall erzählte. Als ich noch Oberstufenschüler war, zog ich manchmal heimlich Papas weinroten Nylon-Regenmantel an und trug das Köfferchen durch die Gegend, einfach so. Tennis war für Papa eine heilige Zeit. Er fuhr weg und war verschwunden. Überhaupt war er fähig, einfach zu verschwinden. Nach dem Tennisspielen duschte er. Seine weißen Wollsocken rochen gut. Sein Spiel war weich. Im Tennis kam wahrscheinlich am besten sein männlicher Charakter zum Ausdruck. Tennis war für ihn wichtiger als Tennis – damit musste man sich irgendwie abfinden. Seine Aufschläge waren nie sehr stark, aber präzise und diszipliniert. Der zweite Aufschlag unterschied sich nicht sehr vom ersten. Er hatte keine Angst, am Netz zu spielen. Er mochte grobes, unprofessionelles Spiel nicht, war aber auf dem Platz immer und mit jedem Partner geduldig und schätzte die Erfolge der anderen.
    PAPA Bien joué!
    Ich kletterte auf den erhöhten Schiedsrichtersitz, bewegte im Rhythmus des Spiels den Kopf hin und her, aber er zählte gern selbst, und es gefiel ihm nicht, wenn jemand bei einem Stand von »dreißig zu dreißig« sagte: »gleich« oder noch schlimmer »gleich Herr Scheich« oder irgendeinen anderen Blödsinn. Beim Seitenwechsel ging er zur Bank, wo sein Köfferchen lag, und wischte sich sorgfältig mit einem speziellen Tennishandtuch den Schweiß vom Gesicht. Als meine Frau und ich einmal befürchteten, nicht rechtzeitig im Bolschoi-Theater zu sein, bot er an, uns vorbeizufahren, aber am Manege-Platz setzte er uns plötzlich ab, da er sonst zu spät zum Tennis gekommen wäre. Seinetwegen verbrachten wir den ersten Akt oben auf der Galerie. Tennis war seine Freiheit. Eine andere Freiheit kannte er nicht. Tennis war seine magische Kristallkugel, in der man, wenn man wollte, alle möglichen gespenstischen Umrisse sehen konnte, undeutliche weibliche Figuren, merkwürdige Situationen wie im Garten der Lüste von Bosch. Daher vielleicht kam mein Traum: Papa und ich hatten eine gemeinsame Geliebte. Die blonde Frau versorgt mich mit Papier für Erika, das Mangelware ist, führt mich in den Wald in Tschkalowskaja, legt sich in die Fichtennadeln und öffnet ihren Import-Body an der feuchten Stelle zwischen den Beinen. Sie sucht nicht Befriedigung, sondern den verbotenen Vergleich, ihr gefällt der riskante Platz in unserem Leben, mit einem fremden Respekt, der eher wie erotische Überlegenheit aussieht, möchte sie über meine Mutter sprechen, und ich verliere in meiner Unfähigkeit dieses Match.
    Papa schickte mich ins »Dynamo«-Stadion zum Tennisunterricht zur Tschuwyrina, einer ehemaligen Tennis-Meisterin der UdSSR ; ich fuhr, den Schläger unterm Arm, mit der Metro dorthin, dreimal pro Woche schlug ich emsig den Ball gegen eine Wand, lernte besser aufschlagen, ich spielte bei den Moskauer Jugendmeisterschaften mit, aber Tennis wurde nicht zu meiner magischen Kristallkugel. Mama akzeptierte demütig Papas Tennisspiel als Gegebenheit. Sie war nicht eifersüchtig – sie sorgte sich nur, manchmal bis zu Tränenausbrüchen, wo er abgeblieben war. Sie verfluchte sein Tennis, wenn er sich zum sonntäglichen Mittagessen verspätete (besonders köstlich war die klare, mit frischem Kohl gekochte Schtschi, die Papa und ich großzügig pfefferten und zu der wir immer, nachdem wir uns kurz in die Augen geblickt hatten, ein Gläschen Wodka kippten), das dank ihrer Bemühungen ebenso ein Ritual geworden war wie sein Tennisspiel. Vom Tennis kam er gewöhnlich munter nach Hause, mit leuchtenden Augen, ein wenig nachdenklich jedoch, mit einem irgendwie nicht besonders familiären Gesichtsausdruck, aber beim Mittagessen nahm sein Gesicht allmählich wieder familiäre Züge an. Mir scheint, dass die Nähe zwischen meinem

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