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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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vom Whisky vernebelte Hügel zogen vorüber. Er stand einen halben Tag im Gang am Fenster – das wurde zu seiner Gewohnheit, wenn er Zug fuhr. In London kam er am späten Abend an. Blaue Lampen erleuchteten spärlich den Bahnsteig. Niemand holte ihn ab. Wladimir nahm ein schwarzes Cab. Er stieg die Außentreppe zur Tür des Hauses Kensington Palace Garden Nr. 13 hoch und drückte auf den Klingelknopf. Die schwere alte Tür öffnete sich ein wenig. Vater nannte seinen Namen. Er wurde eingelassen. Der junge Diplomat, der in jener Nacht Dienst hatte, freute sich über den unerwarteten Gesprächspartner. Sie tranken zusammen Tee.
    »Glauben Sie, dass die Dreizehn eine Unglückszahl ist?«
    »Wieso fragen Sie?«
    »Das Botschaftsgebäude haben wir wegen der Hausnummer zu einem annehmbaren Preis gekauft. Die Nachbargebäude sind entweder zerstört oder haben durch die Luftangriffe ernste Schäden davongetragen, aber die Botschaft ist ganz geblieben.«
    Gähnend betrat ein anderer Mitarbeiter den Raum.
    »Hast du die Katze gesehen?«
    »Welche Katze?«
    »Die Katze ist verschwunden.«
    Der Mann mit der verschwundenen Katze brachte Vater in das nächstgelegene Hotel.
    »Faschisten! Ich hatte mich an die Katze gewöhnt. Meine Frau ist in Moskau geblieben.«
    »Sie findet sich schon wieder«, sagte Vater.
    Er war Optimist. Er spürte die angenehme Wärme von der großen Wärmflasche, die unter der Decke an seinen Füßen lag, und schlief augenblicklich ein. Schlafen konnte Vater in jenen Zeiten an jedem beliebigen Ort und in jeder Lage. Er hatte einen so gesunden Schlaf, dass ihn wohl nicht einmal ein Pistolenschuss direkt neben seinem Ohr aufgeweckt hätte. Diesmal wachte Wladimir mitten in der Nacht auf. Ringsum war es stockdunkel. Die Decke lag schwer wie ein Sandsack auf ihm. Vater dachte: Die Zimmerdecke ist eingebrochen. Während er sich mühsam aufrichtete, hörte er, wie Glasscherben klirrend auf den Boden fielen. Durchs Zimmer fegte der Wind. Von den Fensterrahmen und Läden war keine Spur mehr zu sehen. Eine schwere Bombe war offenbar in der Nähe explodiert. Morgen ist auch noch ein Tag, befand Vater und schlief wieder ein.
    Die deutschen Piloten kämpften gut! Hitler war ein Himmelsgewitter. Seine Luftwaffe beherrschte den Himmel über London. Morgens war die nasskalte Luft bitter vom Qualm wie in Archangelsk, doch in den müden Gesichtern der Londoner konnte Vater keine Verzweiflung entdecken. Die Leute auf der Straße sahen gefasst und konzentriert aus. Die Kinos waren geöffnet. In einem großen Kaufhaus, zu dem die Genossen von der Botschaft Vater am nächsten Tag brachten, kleideten flinke Verkäufer ihn von Kopf bis Fuß in Zivil ein, nicht ohne ihm die sowjetische Feldbluse akkurat einzupacken. Obwohl ihn auf der Straße niemand beachtete, genierte sich Vater ein wenig in den engen Hosen und dem Hut, den er erstmals im Leben auf dem Kopf trug.
    »War nicht auch Katja Warennikowa auf deinem Schiff?«, fragten plötzlich die Genossen von der Botschaft.
    »Sie ist ertrunken«, sagte Vater. »Zusammen mit ihrer Tochter.«
    Die Genossen fingen an zu lachen.
    »Was ist los?«
    »Weißt du, wer sie war?«
    »Wer denn?«
    Erneutes Gelächter. Wladimir fragte nicht weiter.
    »Meine Katze ist wieder aufgetaucht«, sagte der Botschaftsmitarbeiter von gestern.
    »Na, sehen Sie«, lächelte Vater.
    Er verstand es, rasch Kontakt zu Menschen zu finden, aber er lachte nie. Nach Schweden war es nicht weiter als bis zum Sieg. Die Amerikaner übernahmen es, Vater dorthin zu bringen. Sie tranken ihren Kaffee aus und gingen hinaus aufs Flugfeld.
    »Na dann, let’s go ?«, sagten die Piloten, während sie Vater eine »Chesterfield« anboten. Auf dem abendlichen Flugfeld standen drei schwere Bomber.
    »Hervorragende Maschinen!«, sagte Vater. »Warum eröffnet ihr keine zweite Front?«
    Die Amerikaner lächelten.
    »Fragen Sie Churchill«, sagte ein großer Schwarzer und streckte verächtlich seine rosa Zunge heraus. »Er hat Angst vor den Deutschen.«
    Sie waren immer stolz auf ihre Technik. Technologie ist die Seele des Westens. Nach Schweden musste man über das von den Deutschen besetzte Norwegen fliegen.
    »Eine beschissene Kleinigkeit!«, versicherten die Amerikaner. »Das ist nur ein schmaler Streifen, den überqueren wir nachts im Gleitflug mit abgeschalteten Motoren.«
    »Das geht schnell und schmerzlos«, zwinkerte der Schwarze, »wie Zähneziehen.«
    In der Nacht orteten die Deutschen über Norwegen die amerikanischen

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