Der gute Stalin
Bomber und jagten sie – einen, den mit dem großen Schwarzen, schossen sie ab, schon im schwedischen Luftraum, was in jeder Hinsicht unfair war. Einer von dreien – extremer als russisches Roulette. Mein Vater, der treuherzige Odysseus, der die Luftschlacht wohlbehalten verschlafen hatte, landete in der Gegend um Stockholm. Das war Anfang November 1942 , am Vorabend des 25 . Jahrestags der Oktoberrevolution, nachdem er insgesamt etwa zwei Monate unterwegs gewesen war.
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Ich beginne mich bei dem Gedanken zu ertappen, dass ich bei meinen heimlichen Beobachtungen der Entwicklung des jungen Mannes an dem Punkt, da er mein Vater werden sollte, unwillkürlich in einen halb ironischen Ton verfalle, und ich versuche, mir dies zu erklären. Vielleicht habe ich aufgehört, die Diplomatie zu mögen, die letzten Endes nichts anderes ist als die brillante Unterordnung der eigenen Persönlichkeit unter die Interessen des Staates. Vielleicht machen die bis zum heutigen Tag gesammelten historischen Erfahrungen das Verhalten meines Vaters für mich zu einer Kette von zumindest treuherzigen Handlungen (der treuherzige Odysseus), und ich kann nicht anders, als darauf mit einer gewissen Überheblichkeit zu reagieren. Am ehesten jedoch geht es hier um die nicht zu vereinbarenden Rollen von Vater und Sohn.
Kinder, wie sie auch sein mögen, machen unser Leben zu einer Falle. Die hübsche Abiturientin, die die Straße entlanggeht (ich habe sie heute auf der Pljuschtschicha in der Nähe meiner Wohnung gesehen) und nach Eau de Toilette riecht, wie es sich gehört, läuft plötzlich vor einem jungen Mann mit Brille weg, dann dreht sie sich mit einem Lachen zu ihm um und sagt verliebt:
»Ich habe Angst vor dir.«
Aus der Sicht ihrer Eltern ist diese Verliebtheit Verrat. Und sie selbst eine junge Nutte. Nicht umsonst haben in traditionsbewussten Gesellschaften die Eltern für ihre Kinder die Ehepartner ausgesucht: Wir sind die Eigentümer unserer Kinder, denn wir haben sie geboren, sie sind eine Ware, die nur wir verkaufen können, aber sie werden niemals damit einverstanden sein.
Die Kinder betrügen uns mit ihrem ganzen Verhalten: mit ihrer Mode, ihren Tänzen, ihren Sitten, ihrer Sprache, die eine Verhöhnung der unseren darstellt. Wir machen Kinder als Fortsetzung unserer selbst in Liebe, und was wir dafür erhalten, sind endlose Sorgen und Spott. Kinder brüllen, stören unseren Schlaf, scheißen in die Windeln, werden krank. Wir warten nachts an der Bushaltestelle auf sie, um sie zu beschützen, und sie genieren sich. Als ich zum Abschlussabend in der Schule die Gorki-Straße Richtung Puschkin-Platz entlangging, schämte ich mich, dass Mama (noch jung, schön angezogen) neben mir lief. Auf der Höhe des Revolutionsmuseums, das früher ein Museum für Geschenke an Stalin war, versuchte ich sogar, sie abzuschütteln und allein zu gehen, aber sie verstand überhaupt nicht, was in mir vorging, und fragte nur, warum ich so schnell gehe. Sie dachte vermutlich, ich sei aufgeregt.
Wir sind für unsere Kinder der Puffer zwischen ihnen und dem Tod. Und sie sind für uns nicht nur die Fortsetzung der Generation, sondern auch das Versprechen unserer persönlichen Ewigkeit, die vielleicht nicht so überzeugend wie die religiöse Ewigkeit, aber immerhin eine Ewigkeit ist. Wenn man den Tod als höchstes Kriterium für Glaubwürdigkeit versteht, dann befinden wir uns offensichtlich in einer ungleichen Lage. Der Tod des Kindes bringt die Eltern um, er ist ein Anschlag auf ihre Unsterblichkeit. Der Tod der Eltern ist nur die persönliche Tragödie jedes Menschen.
Eltern sind wichtiger als Literatur. Bei ihrer Beschreibung vibriert der Stil des Schriftstellers. Der Schriftsteller bemüht sich umsonst, den Eindruck in ein Bild zu zwängen. Aber Kinder sind oftmals wichtiger als das Leben. Wenn ich auf dem Rückweg vom Krasnoarmejski-Park die Straße mit dem modischen Jeans-Kinderwagen überquerte, in dem mein kleiner Sohn Oleg schlief, wusste ich, dass ich, sollte sich die Frage »er oder ich« stellen, mich opfern und vors Auto werfen würde. Die Selbstaufopferung öffnete sich ohne Knarren wie eine Tür. Es war keinerlei Großmut dabei. Vor dem Schicksal jedoch tricksen wir. Wir erwählen unsere Kinder nach dem Grad unserer Nähe zu ihnen, aber irgendwelche Bälger, zufällig gezeugt, schieben wir für immer von uns – sie taugen nicht für unsere Ewigkeit.
An einem Wintermorgen, auf dem Rückweg von der Datscha, wo ich dieses Buch schreibe,
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