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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Hand.
    »Und Sie?«, fragte das Kindermädchen.
    »Gleich, gleich«, lachte Kirilla Wassiljewna, sich die Stirn abwischend. »Uff, bin ich müde!«
    Das Kindermädchen trat auf die Badewanne zu, die an derselben gefliesten Wand wie meine stand, und drehte das kalte und heiße Wasser auf. Es schoss in einem starken Strahl in die Wanne.
    »Heiß heute. Ich bin schweißgebadet!«
    »Und ich erst!« Kirilla Wassiljewna kratzte sich unter der Achsel.
    Das Kindermädchen knöpfte den weißen Kittel auf. Sie zog ihn aus und legte ihn auf einen Schemel, nachdem sie dessen Oberfläche für alle Fälle betastet hatte, ob sie auch nicht nass war. Sie hatte nur noch eine rosa Unterhose bis zum Bauchnabel und einen weißen Büstenhalter an. Dann zog sie die rosa Unterhose aus, wobei sie ihre dünnen Beine sehr hoch hob, und stand einen Moment im Büstenhalter da, während sie mit der Hand die Wassertemperatur kontrollierte. Sie drehte sich zu uns um, zog den Büstenhalter aus und stieg, ihre kleinen Brüste knetend, in die Wanne.
    Ihr Beispiel inspirierte Kirilla Wassiljewna. Auch sie drehte die Wasserhähne an der Wanne auf, die meiner gegenüberstand – an der anderen Wand. Dann ging sie zur Tür und schob den Riegel vor. Nun knöpfte auch sie ihren Kittel auf und warf ihn schwungvoll auf den anderen, ziemlich nassen, seifigen Schemel. Unter dem Kittel war nichts. Kirilla Wassiljewna hatte einen nicht sehr großen, aber sehr runden Hintern. Ich sah meine Direktorin verschämt an. Übrigens war ich in sie verliebt. Als sie uns in der Klasse das Gerundium erklärte, stand sie seitlich zu der braunen Tafel und ähnelte einem Fuchs. Kirilla Wassiljewna hob ein Bein, um in die Wanne zu steigen, und für eine Sekunde, als leuchtete ein Blitz auf, sah ich das kleine braune Löchlein von ihrem Po, die rosa sich öffnenden Lippen und die schwarzen Haare ihrer Weiblichkeit. Ich stand in meiner Wanne, den orangenen Schwamm in der Hand, weder tot noch lebendig. Auch der schwachsinnige Franzose hätte mir keine wahrheitsgetreueren Informationen verschaffen können. In der Wanne bis zum Knie im Wasser stehend, beugte sie sich zu Waschlappen und Seife hinunter, wobei sie mir eine Seite zuwandte, und ich sah ihre großen Brüste mit den aufrecht stehenden rosa Brustwarzen sanft hin und her schaukeln.
    »Kirilla Wassiljewna!«, rief das Kindermädchen aus ihrer Wanne. »Ich kann Ihnen den Rücken waschen. Wollen Sie?«
    Kirilla Wassiljewna streckte ihren Rücken, drehte sich zu mir um, die schwarzen Löckchen unter ihrem Bauch präsentierend.
    »Wasch dich selbst«, sagte sie mit einem Auflachen. »Ich frag mal den Kavalier hier. Er ist schon fertig mit Waschen.«
    Das stimmte nicht ganz. Ich hatte mich noch nicht ganz gewaschen.
    »Wäschst du mir den Rücken?«, fragte sie mit einem erneuten Auflachen.
    *
    Warum schreiben Schriftsteller ihre Autobiografie? Eine schwere Krankheit, meiner Meinung nach. Es ist dasselbe, wie seine Initialen in eine Bank zu ritzen. Die Aufgabe des Schriftstellers ist es nicht, eine Autobiografie zu schreiben, sondern sich dem zu entziehen oder die Fische damit zu füttern. Gorki nudelt in seiner autobiografischen Trilogie kilometerweise Dialoge herunter, deren Glaubwürdigkeit ebenso groß ist wie ihre Verlogenheit. Die bleierne Abscheulichkeit des russischen Lebens wird verkauft gegen tonnenschwere Bitterkeit. An dieser Bitterkeit ist nichts Revolutionäres, sie reicht nah an sologubsche Ausweglosigkeit heran. Null gleich null. Nabokov behauptet im Gegenteil, er habe im Paradies gelebt. Dieses Paradies besteht bei ihm aus eitlen Details aus dem satten Leben eines egoistischen kleinen Herrn, den hernach die Revolution mit großem Genuss bestrafte. Nabokov ist bestrebt, rhythmische Wiederholungen in seinem Leben zu finden, er zündet Streichhölzer an, um seinen Sinn zu feiern, da er jedoch Agnostiker ist, gerät er in seine eigene Falle und verfehlt das Thema. Seine Flucht vor der Zufälligkeit gleicht einem Slalomlauf. Seine Erinnerungen sind abstoßend selbstzufrieden. Das ist ebenjene Banalität, der er den Krieg erklärte. Gorki und Nabokov – die beiden Pole der russischen Literatur – haben ihre Autobiografien zu einem gleichermaßen geschwätzigen Produkt gemacht.
    Das Leben des Schriftstellers fliegt über dem Lebenssinn. Es nährt sich nicht von Millionen Kleinigkeiten wie das Leben anderer Menschen. Im Unterschied zu seinem Wort ist es weniger als der Schriftsteller selbst. Es erniedrigt ihn. Seine

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