Der gute Stalin
verlogenes, wenn auch prägnantes KGB -Wort. In der Tat, Schriftsteller sind »Wirrköpfe«. Besser kann man es nicht ausdrücken.
Alle Schriftsteller gefallen sich selbst, sie sind wissbegierig, scharfsichtig, falsch, lüstern und haben Augen, die in sie selbst hineinschauen. Auf allen Porträts sehen Schriftsteller tiefsinnig aus. Wahrscheinlich bin ich kein Schriftsteller: Auf Fotos sehe ich aus wie ein zufälliges Präfix des Lebens. Zu dreißig Prozent besteht der Schriftsteller aus einem tiefen Gefühl der Selbstzufriedenheit. Zu zwanzig aus einem Gefühl des Todes. Zu den übrigen fünfzig Prozent aus dem Glauben an seine Einzigartigkeit. Er vertraut seinem Geburtstag nicht – er ist aus dem Weltall gekommen und wird mit ihm für immer verschmelzen. Er sucht geheimnisvolle Male an seinem Körper. Ich zum Beispiel habe unter der linken Brustwarze eine angeborene Narbe. Ich habe schon viele Menschen betrachtet – niemand hatte etwas Vergleichbares. Wahrscheinlich stammt das aus meinem vorigen Leben. Darin war ich ein Halbgott. Nimmt man dem Schriftsteller seine Unverwechselbarkeit, dann ist er am Ende. Dieses Gefühl der Einzigartigkeit macht den Schriftsteller besonders reizbar. Tolstoi verwischte die Spuren und machte aus seiner Autobiografie moralische Selbstjustiz, die im Tolstoianertum endete. Der Weg, den Dobytschin nahm, war genau entgegengesetzt: Er vermischte Wichtiges mit Belanglosem, wodurch der moralische Aspekt seines Erzählens auf den Nullpunkt sank. Majakowski machte den Spötter. Pasternak den Grübler. Proust erzählte, er sei zufällig von Kopf bis Fuß. Einander unterbrechend, teilen die Schriftsteller Details aus ihrem Leben mit, überzeugt davon, dass das jemanden interessiert. Aus irgendeinem Grund habe ich Die Kindheit Bagrows des Jüngeren nicht gelesen. Vielleicht ist das eine Ausnahme? Ich weiß es nicht. Die Autobiografie muss in eine Sackgasse führen. Ich brauchte nur einige Dutzend Autobiografien zu lesen, um zu erkennen, dass ich niemals eine Autobiografie schreiben würde.
*
Ich spürte, wie das Kindermädchen auf einmal still wurde in seiner gusseisernen Wanne auf Füßen. Jetzt fällt mir plötzlich ein – als ob ich in dieser Sekunde kopfüber in die Kindheit eintauchen würde –, dass sie die junge Ehefrau eines Mitarbeiters der Handelsvertretung war, äußerlich sehr französisiert, modebewusster als meine Mama, und sich im Sommer mit Kinderhüten etwas dazuverdiente. In die Handelsvertretung fuhren wir, um sowjetische Filme anzusehen; besonders gefielen uns Nun schlägt’s 13! und das Unkraut, das in einem Chruschtschowschen Agitationsfilm jener Jahre den Mais attackierte. Das Unkraut sang amerikanischen Boogie-Woogie und fegte alles, was ihm in die Quere kam, hinweg. Am Eingang zum Kinosaal wirbelte die Frau des Mitarbeiters in einem Glockenrock aufgekratzt um die Männer herum. Mama verurteilte sie dafür. Sie fand, dass eine Frau, deren Ehemann bei der Handelsvertretung ist, nicht Kindermädchen sein dürfe; sich so für Geld zu verkaufen, das sei nicht gut.
»In Ordnung«, sagte ich als braver Schüler.
Kirilla Wassiljewna setzte sich mit dem Rücken zu mir auf den Badewannenrand. Ich wusste bereits, dass ich mit diesem Ereignis jahrelang leben würde. Wie ein Erwachsener begriff ich, alle möglichen Zwischengedanken überspringend, dass sie es wagte, mich zu bitten, ihr den Rücken zu waschen, weil die Mitarbeiterin der Handelsvertretung anwesend war; wären wir beide allein gewesen, wäre niemals etwas dergleichen passiert.
Ich trat auf ihre Badewanne zu, nahm ihr den Waschlappen aus der Hand, der absolut russisch und bereits eingeseift war, und begann zum ersten Mal im Leben einen fremden Rücken zu waschen. Der Rücken der Direktorin bedeckte sich mit roten Flecken.
»Schön machst du das!«, sagte sie, als ob sie mir für das Lösen einer Rechenaufgabe eine Note gebe. »Weißt du noch«, fuhr sie fort, »wie ich die Klasse, als ihr bei den Pionieren aufgenommen werden solltet, gefragt habe, warum das so heißt – Pionier, und wie du dich gemeldet hast?«
»Ja, weiß ich noch«, brummelte ich.
»›Pionier‹, hast du gesagt, als ich dich drangenommen habe«, Kirilla Wassiljewna lachte, »›Pionier kommt von Pionie! Pioniere mit ihren Halstüchern sind genauso rot wie Pfingstrosen!‹«
Kirilla Wassiljewna bog sich vor Lachen. Das Kindermädchen in seiner Wanne reagierte jedoch überhaupt nicht auf ihre Worte, und ich wurde wieder rot wie damals in
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