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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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Boris Podzerob tat, der gut sichtbar auf Fotos in Potsdam vertreten ist und der sich vor Schüchternheit beim Rendezvous mit dem geliebten Mädchen in die Hose pinkelte. Podzerob übte Vater gegenüber offene Kritik an Chruschtschow, hatte in seinem Arbeitszimmer über dem Schrank ein Stalin-Porträt hängen, im Schrank einen Altar mit Stalins Werken, Fotos, Notizen. In seinem Arbeitszimmer traf sich ein Zirkel von Stalin-Anhängern aus dem ehemaligen Kreml-Dunstkreis. Das waren echte Ritter des Gulag. Chruschtschow, der dem Westen als unbeugsamer Kommunist erschien, der lediglich aus taktischen Erwägungen Stalin entthront hatte, der bereit war, dem Westen zu zeigen, wer der Herr im Haus ist, und Amerika während der Kuba-Krise in Bedrängnis zu bringen, war in den Augen echter Glaubenskenner nicht nur ein politischer Waschlappen, sondern auch ein Verräter. Podzerob klopfte frühmorgens, die Prawda in der Hand, an die Tür unserer Moskauer Wohnung, als Chruschtschow abgesetzt wurde. Er frohlockte. Podzerob war konsequent, Vater nicht. Ihm fehlte es an Philosophie – er kam ins Trudeln. Bei uns zu Hause war der Geist Stalins nicht anwesend. Vater überschritt nicht die Grenze zum Dissidententum, zu einer parteifeindlichen Gruppierung, aber am Glanz seiner Augen, wenn er von seiner Arbeit im Kreml erzählte, sah man, wo seine wichtigsten Jahre waren.
    *
    In meiner Kindheit log ich gern. Ich log ohne jeden Nutzen für mich, einfach aus Liebe zur Lüge. Ich malte die schwarz-weiße Welt mit den Farben meiner Lüge an und versetzte meine Zuhörer mit allen möglichen und unmöglichen Geschichten in Aufregung. Meine liebsten Zuhörer waren abwechselnd Marussja Puschkina, Großmutter und Klawa, die mir leicht Glauben schenkten. Dann wurden sie von meinen Klassenkameraden abgelöst. Ich log, dass man mir auf der Weltausstellung in Brüssel angeboten hätte, die Erde im Sputnik zu umkreisen, ich log, dass ich Autofahren gelernt hätte und ganz allein dreihundert Kilometer gefahren wäre, dass ich mit einer echten Pistole geschossen und in Paris einen Brillanten von hundert Kilogramm gesehen hätte. Großmutter, die nie im Ausland gewesen war, verblüffte ich mit allen möglichen unglaublichen Geschichten über Paris, nicht nur mit der von dem Brillanten; ich erzählte ihr, dass ich an der Außenseite des Eiffelturms an den Eisenträgern hochgeklettert wäre, und zu meiner großen Begeisterung nahm sie mir das ab, als ich ihr aber erzählte, dass die Leute in Paris geröstete Kastanien essen, wollte sie es nicht glauben. Der armenischen Emigrantin, die mir ein wenig Französisch beibrachte, erzählte ich lustvoll Lügengeschichten über Moskau. Ich log, dass es in Moskau blau-gelbe wundersame Oberleitungsbusse gäbe, die mit Autopilot gesteuert würden und selbst wüssten, wo sie anhalten müssen, ich log, dass ich im Alter von drei Jahren mit dem Wodkatrinken begonnen hätte, wie alle normalen russischen Kinder, und dass ich die Kremlsterne mit meinen Händen berührt hätte.
    »Und, wie sind sie?«, staunte die Armenierin. »Aus Rubinen?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete ich. »Aber sie sind scharf, und ich habe mich daran geschnitten.«
    »Stimmt es, dass bei euch die Schulkinder Uniform tragen?«, wollte die Armenierin wissen.
    »Ja«, antwortete ich. »Und jeder trägt einen Dolch an der Seite. In unserem Land haben alle Uniformen: die Arbeiter, die Bauern und mein Papa auch.«
    Ich kam richtig in Fahrt bei dieser Mischung aus Lüge und Wahrheit, wir vergaßen über dem Schwätzen die Zeit. Endlich besann sich die Armenierin und sah mit ihren traurigen armenischen Augen, unter denen große schwarze Säckchen hingen, auf ihre Armbanduhr:
    »Eh bien. Nous allons, vous allez, ils …?«
    Aber es war schon zu spät, die Französischstunde ging zu Ende. Leichten Schrittes kam Mama in einem weiten Kleid ins Zimmer. Wegen meiner Lügerei habe ich nur »coccinelle« gelernt.
    »Sie ist ganz begeistert von dir«, sagte Mama über die Armenierin.
    Kein Wunder, denn die Armenierin hatte nun ihrer Emigrantengemeinde einiges zu erzählen.
    Ich redete weiß der Kuckuck was für ein Zeug zusammen. Es ging mit mir durch. Ich erzählte Großmutter, dass ich wegen einer Wette ein ganzes Tintenfass ausgetrunken, mich aber nicht vergiftet hätte, dass ich mich mit Orlow geprügelt, ihm den Arm gebrochen und er jetzt nur noch einen hätte, dass ich einen eigenen Diplomatenpass besäße und die Pariser Gendarmen vor mir strammstünden

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