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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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scheuen.
    DER STIL.
    Der Briefstil spiegelt den Menschen wider! Sind Sie ein Mensch mit
    Geist, so können Sie sich nicht mit banalen, abgegriffenen Redensarten
    zufrieden geben. Wir geben Ihrnen kein Briefmuster, das Sie für
    bestimmte Gelegenheiten nachahmen sollen. Man macht sich oft über
    junge Mädchen lustig, die ein Tagebuch führen. Es ist keine so
    schlechte Angewohnheit, da sie dadurch lernen, ganze Seiten zu füllen,
    ohne etwas Wesentliches auszudrücken. Sie sind nicht wie die
    Menschen, die unfähig sind, einen Brief von einer halben Seite zu
    schreiben, selbst wenn sie den Untergang der Titanic miterlebt hätten.
    Wir überlassen es anderen, Bücher zu verfassen, die man »Der
    vollkommene Briefsteller« getauft hat und in denen man
    nebeneinander findet: einen Brief, um eine Stelle zu suchen, — um die
    Hand eines jungen Mädchens anzuhalten, um ein Duell zu fordern, um
    seinen Nachbarn seinen Selbstmord anzumelden, und so weiter. Diese
    Bücher sind erheiternder als der beste Spoerl-Roman.
    Wenn Sie je einen solchen Briefsteller-Brief versenden, können Sie
    sich darauf verlassen, dass sich der Empfänger totlacht, wenn er ihn
    später einmal wieder liest. Aber wahrscheinlich wird er ihn sofort
    zerreissen und denken, dass der Schreiber ein trauriger, gezierter
    Mensch ohne Phantasie ist; und er wird es sich nicht wünschen, ihm zu
    begegnen. Ueberlassen wir es nicht dem »perfekten Briefsteller« an
    unserer Statt Eindruck zu machen. Wollen Sie sich von jemandem
    anregen lassen, so wenden Sie sich lieber an Goethe, Napoleon oder
    irgendeinen berühmten Mann. Sie werden feststellen, dass ihre Briefe
    gar nicht veraltet sind, und dass es ihnen gelang, alle Themen zu
    behandeln, und sich an alle Arten von Menschen in einem passenden
    Ton zu wenden, ohne je auf den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit
    zu verzichten.
    Es gibt jedoch Höflichkeitsformeln, die man nicht erfinden kann,
    wenn man sie nicht kennt. Wir geben Ihnen darum einige Anreden und
    Schlussformeln. Wenn Sie an einen Staatspräsidenten oder einen
    Minister schreiben, so vergessen Sie nicht, dass Ihr Brief mit
    Sehr verehrter Herr Ministerpräsident oder Minister beginnt, und vor
    Ihre Unterschrift
    Ihr Ihnen sehr ergebener
    gehört. An die verschiedenen Präsidenten schreiben Sie wie oben, nur
    mit dem vollständigen Titel wie: Senatspräsident,... Man schreibt
    heutzutage an den Ministerpräsident nicht mehr in der dritten Person.
    Einem Rechtsanwalt schreiben Sie:
    Sehr geehrter Herr Anwalt
    mit der Schlussformel: Hochachtungsvoll. Wenn der Brief
    persönlicherer Natur ist, unterzeichnen Sie mit: Ihr ergebener. Zur
    Anrede: »Lieber...« gehört die Schlussformel »Ihr...«
    Die Anrede an geistliche Würdenträger entspricht der mündlichen
    Anrede. Die Schlussformel ist:
    Mit ehrfurchtsvollstem Gruss und ergebenst
    wobei Je nach der Stellung' das »st« wegbleibt.
    Unsere demokratische Zeit hat die Unterschiede in der Anrede
    zwischen Hochgestellten, Gleichgestellten und Untergeordneten
    verwischt. Lediglich in der Schlussformel kann man den Grad des
    Respekts zum Ausdruck bringen, von »ergebensten« bis zu den
    »besten« Grüssen.
    »Achtungsvoll« zu schreiben ist eine Beleidigung, — es scheint, dass
    in unserem Zeitalter der Superlative ,die Achtung' allein nicht mehr
    genügt, es muss schon Hochachtung sein.
    DIE SCHREIBMASCHINE.
    Es ist noch nicht überall üblich, Briefe mit der Schreibmaschine zu
    schreiben. Das ist zu bedauern! Unsere Zeit hat der Zweckmässigkeit
    viele Höflichkeitsformeln geopfert, warum soll es noch Fälle geben, in
    denen man unbedingt mit der Hand schreiben muss? Die
    Schönschreiber sind eine aussterbende Rasse, aber trotzdem sollen wir
    die »Etikettewütigen« nicht beleidigen, indem wir ihnen einen mit der
    Maschine geschriebenen Brief übersenden. Wenn sie unbedingt
    unsere Handschrift enträtseln wollen, lassen wir ihnen diese Ehre.
    Wenn sie etwas von Graphologie verstehen, werden sie schnell die
    geringe Sorgfalt entdecken, mit der dieser Brief geschrieben wurde. Sie
    werden sehen, dass es uns Spass machte, noch unleserlicher als
    gewöhnlich zu schreiben. Man weiss, dass unsere Gedanken schneller
    gehen als unsere Feder — das Gegenteil wäre beunruhigend für
    unseren Verstand; versuchen wir aber nicht, die Schnelligkeit unseres
    Geistes durch ein schreckliches Gekritzel zu beweisen, das schwerer zu
    entziffern ist, als die ägyptischen Hieroglyphen. Wollen wir hoffen,
    dass bald der

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