Der Gute Ton 1950
hinnehmen sollten: Unsere Küche ist nicht überall in der
Welt als die Beste anerkannt. Wir müssen zugeben, dass es zwei
unübertreffliche Küchen gibt: die französische und die chinesische
Küche. Es ist vorsichtiger, wir zeigen Gästen den Reiz der chinesischen
Kochkunst nicht in einem ausschliesslich chinesischen Restaurant,
sondern da, wo wir Gelegenheit haben, auch nicht chinesische Gerichte
zu essen. Es gibt »Barbaren«, die Schwalbennester nicht schätzen, sie
werden sich mit einem Beefsteak trösten.
Lassen Sie sich lieber von der französischen Küche beeinflussen, die
jedermann schätzt.
Hausfrauen, die die schwierigen Vorbereitungen für ein erfolgreiches
Mahl fürchteten, haben den Ausweg gefunden, ein fertiges Essen in
einem Restaurant zu bestellen. Das Essen wird eine halbe Stunde vor
der festgesetzten Zeit von einem Koch gebracht, der darüber wacht,
dass richtig serviert wird. Man merkt aber immer, ob ein Essen von
einem Berufskoch zubereitet wurde. Da einmal die Illusion zerstört ist,
dass wir die Herrlichkeiten selbst gekocht haben, laden wir doch besser
direkt in ein Restaurant ein. Wir ersparen dadurch den Platten die
Fahrt vom Restaurant zu unserem Haus!
Sie müssen als Gastgeberin alles tun, dass Ihre Gäste zufrieden sind.
Wenn Sie keine Meisterköchin sind und nicht genügend Bedienung zur
Verfügung haben, verzichten Sie besser auf zu gewagte Versuche und
übermässige Ansprüche. Sie dürfen die Gäste nicht als
Versuchskaninchen betrachten und ihnen raffinierte Gerichte vorsetzen
wollen, die misslungen sind. Man nährt sich nicht von der »guten
Absicht«, sondern wird nach der Wirklichkeit urteilen. Ihre Gäste sind
auch keine verfressene Riesen, Sie sollten ihnen nicht zuviel anbieten.
Unsere Zeit wünscht einfache, gut schmeckende Gerichte.
Wir dürfen das klassische Menü nicht übersehen, das wir nur noch
aus Büchern oder vom Hörensagen kennen. Die Menschen der
Jahrhundertwende waren so reich, dass sie ihre Langeweile in gutem
Essen und auserlesenen Weinen zu ertränken suchten. Dieses
klassische Menü enthält jene Reihenfolge von Speisen, die nicht nur für
den Gaumen, sondern auch der Gesundheit zuträglich sind.
DAS ABENDESSEN.
Das klassische Abendessen beginnt mit einer leichten Suppe, im
Sommer mit einer Tasse kalter Bouillon.
Dann folgen die R e I e v é s oder Vorgerichte, die aus einem
Fischgericht oder einem Fleischgericht bestehen, das mit Salat gereicht
wird. Nun folgen die Entrées — oder Zwischengerichte, kleine leichte
Gerichte, die den Appetit erneut reizen sollen. Man gibt hier: Ragouts,
Frikassees, Zunge, Kaldaune, Nierchen, Milch usw. Und nun der
Braten, zum Beispiel: Geflügel oder Wildbraten also ein warmer
Braten, dem kalter Braten folgen kann wie z. B. Fleisch. Es kann aber
auch kalter Fisch, Langusten oder Krebse sein. Die Erfahrung hat
gelehrt, dass es gesünder ist, mit einem kalten Gericht zu schliessen
als mit einem warmen. (Warmer Fisch und warm angerichtete
Schalentiere sind Entrées oder Zwischengerichte.) Es folgen die
Gemüse, die süsse Nachspeise (Entremêts), dann Käse, Eis und die
Desserts. Hier machen rohe Früchte den Anfang, dann folgt das
Kompott, Kuchen und Bonbons bilden den Schluss.
Eine solche märchenhafte Mahlzeit wird natürlich reichlich
begossen.
Nach der Suppe, zu der nicht getrunken wird, gehören zum
Vorgericht griechische oder sizilia-nische Weine. Zu den Entrées
serviert man Rotweine und zwar Burgunder oder einen Bordeaux.
Zum Braten reicht man einen Weisswein, einen Mosel, Elsässer oder
Rheinwein. Zum Eis reicht man einen wärmenden Süsswein, z. B.
Muskateller. Zu den Fruchtspeisen gehört selbstverständlich Sekt, kein
Schaumwein!
Der Sekt wird eiskalt serviert, der Weisswein kühl und der Rotwein
soll »temperiert« sein.
Zu den Vorspeisen (Hors-d'oeuvre) wird Weisswein gereicht.
Wir sprachen eben vom »klassischen Menü« und von dem, was
unsere heutigen Magen vertragen. Wir wollen — zum Vergleich —
einige der grössten bekannten Menüs anführen, die die Gastronomie
verzeichnet:
Bei einem berühmten Essen im 16. Jahrhundert wurden:
37 Ragout-Arten
21 verschiedene Braten
10 Salate
27 Nachspeisen
den Gästen gereicht.
Im 17. Jahrhundert, — im Jahre 1656, — gab
Madame la Chanceliere für Ludwig XIV. ein Essen mit 168
verschiedenen Platten, ohne die verschiedenen Desserts; darunter
waren:
8 Suppen und
16 warme Vorspeisen;
8 grosse
Weitere Kostenlose Bücher