Der Gute Ton 1950
ruiniert. Derjenige, der bezahlt,
faltet die Rechnung nicht ganz auseinander, um die Sache nicht zu
auffallend zu machen. Er ruft auch nicht den Hotelchef, um mit ihm
über die Richtigkeit der Rechnung zu diskutieren oder ihn darauf
aufmerksam zu machen, dass die Preise zu hoch sind und dass er sein
Restaurant nicht mehr betritt. Es gibt auch Gastgeber, die die
Rechnung zwar nicht entfalten, die aber die Geldscheine einzeln, recht
langsam, in die Rechnung schieben, damit die Gäste genügend Zeit
haben, sie zu zählen. Ein gut erzogener Gast wird einen solch taktlosen
Gastgeber strafen, indem er auffällig aus dem Fenster schaut oder die
Decke anstarrt bis diese »Operation« beendet ist. Ist die Rechnung
bezahlt, dann soll der Gastgeber nicht unnötig darüber sprechen. Er
wird nicht etwa sagen: »Es ist gut hier, aber sehr teuer.« Es ist
eleganter, seine Gäste zu fragen, wie ihnen das Restaurant gefallen hat
und nicht das Essen. Er kann dann die Gründe sagen, weshalb er
gerade dieses Lokal gewählt hat. Wenn etwas in der Bedienung zu
rügen war, wird er sich entschuldigen, er wird aber weder den Ober
beschimpfen, noch dem Empfangschef in Gegenwart seiner Gäste seine
Unzufriedenheit erklären. Die Gäste werden behaupten, nie in ihrem
Leben ein so gutes Essen gegessen zu haben, — auch wenn sie noch
hungrig sind, — und dass sie von diesem kleinen Restaurant entzückt
sind.
IN EINEM NACHTLOKAL.
Die Ratschläge sind ungefähr dieselben wie für das Restaurant. Aber
die Lage des Tisches ist noch viel wichtiger, da gewöhnlich in diesen
Lokalen kleine Vorstellungen eingeschoben sind. Man soll die
eingeladene Dame, die gerne tanzt, nicht warten lassen, bis die Herren
vom Nebentisch es übernehmen, sie aufzufordern. Tanzt man selbst
nicht, so lädt man auch nicht in ein Tanzlokal ein. Die Amerikaner
haben einen Grundsatz, den auch wir annehmen sollten. Man sieht in
einer Gesellschaft stets ebensoviele Herren wie Damen. Es ist jedoch
schwer, ihre Art nachzuahmen, wie sie die »girls teilen«. Jedes
Mädchen bekommt seinen Partner für den Abend und sie tanzt fast
ausschliesslich mit ihm. Das ist typisch amerikanisch; in Europa wäre
es ungezogen ein junges Mädchen mit Beschlag zu belegen, wenn man
nicht allein mit ihr ist. Die andern haben auch das Recht, ihre
Gesellschaft zu geniessen. Es gibt kein Monopol! Den ersten Tanz muss
man mit der Dame am Tisch tanzen, die man besonders ehren will, wir
fordern also nicht unsere Frau auf, sondern die Frau unseres Freundes.
DER ABSCHIED.
Es gibt Leute, die nie »Auf Wiedersehen« sagen können. Es sind
dieselben, die Sie auf der Strasse eine Stunde lang aufhalten, auch
wenn Sie ihnen sofort sagen, dass Sie eine überaus dringende
Verabredung haben. — Die Gäste haben das Vorrecht »Auf
Wiedersehen« zu sagen, und natürlich sagt es eine Dame vor dem
Herrn. Ist ein Ehepaar eingeladen, so wird der Mann warten, bis seine
Frau Abschied nimmt. Sie wird sich geschickt und graziös halb ihrem
Mann zuwenden, gleichsam um seine Bestätigung einzuholen. Der
Ehemann soll dann natürlich nicht behaupten: »Wir haben noch Zeit.«
Die Gastgeber dürfen ihre Gäste, die sie verlassen wollen, nicht
anflehen noch zu bleiben, das wäre taktlos. Sie sollen nur ihr Bedauern
ausdrücken! Sie bringen ihre Gäste im Wagen oder im Taxi nach
Hause, oder bringen sie wenigstens bis zur nächsten Strassenbahn-
oder Autobushaltestelle, sie warten bis der Autobus abgefahren ist.
Eine Dame soll man nachts unbedingt begleiten, da sie sich fürchten
könnte. Man bringt sie bis zu ihrer Türe. Das heisst, wir brauchen nicht
zu warten, bis sie das Licht in ihrem Flur angezündet hat.
X.
DIE GESCHICHTE EINER
HÄUSLICHEN EINLADUNG
Welch' wichtiges Ereignis für eine Hausfrau, unabhängig von der
Zahl und von der Bedeutung der Geladenen! Wir sagen: für eine
Hausfrau, weil es einem Junggesellen nicht ansteht, eine Einladung in
grösserem Rahmen zu geben. Die Voraussetzung ist, dass eine DAME
empfängt und nicht ein Herr, selbst wenn er der Gastgeber ist. Will ein
Junggeselle eine grössere Einladung geben, bittet er seine Mutter, seine
Schwester oder eine nahe Verwandte, die Rolle der Hausfrau zu
übernehmen — es sei denn, es soll ein Herrenabend oder eine
»Sauferei« werden. Wirklich grosse Einladungen werden heutzutage
wohl nur noch selten gegeben, da weder die entsprechenden Räume
noch das nötige Personal vorhanden ist.
MITTAG-
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