Der Gute Ton 1950
romantischem Mondschein verstohlen
küssen. Es ist besser, wenn die Gäste ihre Teller und ihre Gläser finden,
ohne gerade Katzenaugen zu haben, mit denen sie bei Nacht sehen.
Natürlich wird ein mittelgrosser Tisch dadurch sehr überladen. Man
erzählt, dass Max Reinhard einmal in seinem Schloss einen
amerikanischen Filmmagnaten empfing. Ein Diener erwartete ihn mit
einem Kerzenleuchter, das Licht sollte die Schritte des Gewaltigen
beleuchten. Aber diese Reinhardt'sche Inszenierung hatte nicht die
gewünschte Wirkung. Der Besucher fragte seinen Gastgeber, ob der
»Kurzschluss schon lange dauere«. Um den Eindruck eines
Kurzschlusses zu vermeiden, empfiehlt es sich, im ganzen Raum
verteilt Kerzenleuchter aufzustellen, dadurch wird die Beleuchtung
ungefähr so, wie mit Glühbirnen. Auch als die Elektrizität noch nicht
entdeckt war, haben die Menschen nicht dauernd im Dunkeln gelebt!
Man soll auch nicht als Vorbild eines jener intimen Essen für zwei
Personen wählen, die man im Film
mit einer oder höchstens zwei Kerzen beleuchtet sieht. Das ist nur im
Film!
Die Mode von heute findet rote oder grüne Kerzen schöner als
weisse. Aber man sollte jedesmal nur eine Farbe wählen, damit die
Gäste untereinander nicht eifersüchtig auf die schönen Farben werden.
Wir wollen noch einmal wiederholen, dass es besser ist, den Tisch
nicht zu überladen, besonders wenn Sie Personal haben. Man bereitet
alles auf einem kleinen Tischchen vor, das vereinfacht die Bedienung.
Es muss daraus nicht unbedingt eine Geschirrausstellung werden.
Aber diese sorgfältige Vorbereitung lässt vermeiden, dass die Hausfrau
bei jedem Tellerwechsel vor Aufregung nicht weiss, wo sie die Gabeln,
die Messer und den Nussknacker hingelegt hat.
Und noch eines: wenn es für Ihre Gäste bequemer ist, ziehen Sie
Ihren Tisch um ein oder zwei Platten aus.
DIE PFLICHTEN DER GÄSTE.
Die Gäste sollen unbedingt zehn Minuten vor der festgesetzten Zeit
erscheinen, weil ein richtiges Essen sofort serviert werden muss, wenn
es fertig ist. Eine Verspätung von 10 Minuten kann genügen, um den
Erfolg eines köstlichen Gerichts zu gefährden, denn allzuleicht hat ein
Essen einen aufgewärmten Geschmack. Ein Mangel an Pünktlichkeit ist
deshalb nicht nur ein Mangel an Höflichkeit, er kann sogar eine
»Katastrophe« heraufbeschwören. Viele meinen, dass der gute Ton eine
kleine Verspätung vorschreibt und dass Pünktlichkeit gar nicht
vornehm sei. Sie verwechseln dies mit der lächerlichen und
bedauerlichen Sitte, zu einem Fünf-Uhr-Tee nicht vor 6 Uhr zu
erscheinen und zu einer Cocktail-Einladung nicht vor 9 Uhr. Andere
glauben allen Ernstes, dass es eine zarte Aufmerk-
samkeit ist, der Hausfrau eine gewisse Gnadenfrist einzuräumen, falls
sie nicht fertig sein sollte. Es ist viel besser für die Frau des Hauses zu
wissen, dass ihre Gäste da sind, auch wenn erst zehn Minuten später
serviert wird, als dass sie auf die Gäste warten muss.
EIN MANN UND EIN BLUMENSTRAUSS!
Es gibt Menschen die glauben, dass es eine Ehrenpflicht ist, mit
einem riesigen Blumenstrauss zu erscheinen. Sie haben beinahe ein
Blumengeschäft geplündert und sind ganz erstaunt, dass ihre
Grosszügigkeit nicht richtig geschätzt wird. Auch wenn sie über die
Preise nicht gut unterrichtet sind, können die Gastgeber sich
ausrechnen, dass ihre Einladung absolut keine Ersparnis für ihren Gast
bedeutet. Und noch dazu hat er einen Bussgang getan, als er seinen
»Garten« durch die Strassen der Stadt getragen hat. Glauben Sie nicht,
dass er sich geschickter benommen hätte, wenn er die Blumen eine
Stunde vorher hätte schicken lassen! Der Eindruck wäre genau so
peinlich gewesen. Jede Hausfrau wird in einer solchen Lage denken,
dass sich der Gast im voraus revanchieren will; sie kann sich dadurch
nicht geschmeichelt fühlen. Es ist eine Art sofortiger Kontoabrechnung,
die sich nur rechtfertigt, wenn man unter keinen Umständen seinen
Gastgebern etwas schuldig bleiben und nicht bis zu einer günstigen
Gelegenheit verpflichtet sein will. Die Sitte, Blumen einen Tag nach
dem Empfang zu schicken, hat wenigstens einen Vorteil: die Hausfrau
wird an der Grösse der Sendung erraten, wieviel Orchideen, Nelken
oder Rosen ihr Essen wert war. Das ist nicht unbedingt galant, und
drückt klar aus, dass man mit seinen gestrigen Gastgebern nichts mehr
zu tun haben will. Dagegen hat ein guter Freund natürlich das Recht,
der Frau des Hauses, in dem er
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