Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
Vom Netzwerk:
ODER ABENDESSEN?
    Ladet man zum Mittag- oder zum Abendessen ein? In beinahe allen
    Fällen empfiehlt es sich, das Abendessen vorzuziehen. Man hat wohl
    vielleicht nicht immer die Wahl, denn einen Freund, der im
    Laufe des Nachmittags verreisen muss, kann man nicht zum
    Abendessen bitten. Einladungen zum Mittagessen missglücken meist.
    Die Vorbereitungen sind ungefähr die gleichen wie für ein
    Abendessen, obwohl das Menü nicht dasselbe ist. Aber die Zeit des
    Beisammenseins ist begrenzt; der Gedanke an den Dienst und der
    Verzicht auf das Mittagsschläfchen verderben das Vergnügen.
    Man soll mittags nicht die Kostbarkeiten seines Kellers anbieten, Ihre
    Gäste werden nachmittags vermutlich noch klar denken müssen und
    dürfen nicht den Eindruck erwecken »soweit« zu sein, wie um 4 Uhr
    morgens vielleicht. Gleichgültig, was Sie mit Ihren Gästen
    zusammenführt — seien es geschäftliche Interessen oder nur die
    Freude einer gemeinsamen Aussprache, am Beisammensein — ein
    langer Abend ist immer günstiger.
    DIE WAHL DER GÄSTE.
    Es schickt sich nicht, zwei verfeindete Menschen einander
    gegenüberzusetzen. Ihre Gäste sollen wissen, wen sie bei Ihnen treffen
    werden. Vermeiden Sie auch, dass 13 Gäste zu Tisch sind; wir sprechen
    noch ausführlich über den Aberglauben und wie man ihm begegnet.
    Bitten Sie möglichst die gleiche Anzahl Herren wie Damen. Es ist gut,
    wenn Menschen, die etwa zwei Stunden nebeneinander sitzen, sich
    nicht irgendwann einmal Blutrache geschworen haben, sondern
    einander sympathisch, wenn nicht schon befreundet sind. Ein Gast, der
    bei Annahme einer Einladung weiss, dass er Menschen trifft, die er
    nicht sehen mag, soll sich nachträglich jeder Empörung enthalten und
    nicht den Erstaunten spielen, weil nicht alle von seinen Feindschaften
    unterrichtet sind. Er lehnt in einem solchen Fall die Einladung mit
    irgendeiner Entschuldigung ab, soll aber den richtigen Grund nur
    dann sagen, wenn die Gastgeber nahe Freunde sind. Aber
    auch bei Freunden kann Diskretion nie schaden! Sprechen Sie nicht vor
    Ihren Gästen von denen, die nicht kommen wollten; sie könnten
    dadurch zufällig erfahren, wer sie meidet.
    DIE WAHL DES MENÜS.
    Das aufgestellte Menü soll nicht Ihnen, sondern Ihren Gästen
    gefallen. Sie müssen daher Rücksicht auf deren Geschmack und ihre
    Sitten nehmen. Ein überzeugter Katholik isst an einem Freitag oder
    Fasttag, wie Aschermittwoch, Gründonnerstag oder Karfreitag kein
    Fleisch. Einem Israeliten setzt man kein Schweinefleisch vor. Eine
    kluge Hausfrau unterrichtet sich geschickt über die Religion ihrer
    Gäste. Sie prahlt aber nicht mit ihrer »weisen Voraussicht«. Wird einem
    Gast an einem Fasttag Fleisch angeboten, hat er das Recht abzulehnen,
    ohne dass darüber gesprochen wird.
    Ist jemand so taktlos, darüber zu sprechen, kann man ruhig den
    Grund der Ablehnung erklären. Dann müssen sich die Gastgeber
    entschuldigen, dass sie sich nicht vorher unterrichteten. Das Klügste
    ist, an einem Freitag grundsätzlich keine Fleischgerichte anzubieten,
    oder noch besser ist es, an diesem Tag garnicht einzuladen. Die
    Vorliebe oder Abneigung Ihrer Gäste ist für Sie sehr wichtig. Fragen
    Sie aber Ihre Gäste nicht selbst, was sie gerne essen, es sei denn, dass es
    intime Freunde sind. Sie sollen ja Ihren Gästen die Sorge der
    Zusammenstellung des Menüs ersparen, und sie überraschen. Aber
    geben Sie acht, dass sie nicht unangenehm überrascht werden.
    Eine weitere Aufmerksamkeit seinen Gästen gegenüber ist, solche
    Gerichte zu vermeiden, die man nur bei besonderen »theoretischen«
    Kenntnissen und grosser Uebung richtig essen kann. Sie ersparen
    damit vermutlich einigen Ihrer Gäste die Mühe die Esstechnik erst bei
    den anderen abgucken zu müssen. Vergällen Sie nicht das Vergnügen
    eines guten Essens, indem Sie bei Ihren Gästen einen
    Minderwertigkeitskomplex hervorrufen, weil sie sich einem Gericht
    gegenübersehen, das sie zum ersten Male in ihrem Leben essen.
    Reichen Sie auch nicht unbedingt die Spezialitäten Ihrer Gegend, falls
    Ihre Gäste nicht gerade diese Landesgerichte erwarten. Viele
    Ausländer bilden sich ein, dass wir nur Sauerkraut essen und Bier
    trinken. Sorgen Sie, dass diese schlecht unterrichteten Menschen ihre
    zu primitive Ansicht ändern. Wählen Sie ein Menü, das einen gewissen
    nationalen Charakter bewahrt, und dabei doch internationale Mägen
    befriedigt. Vergessen Sie die Wahrheit nicht, die wir ohne zu
    verzweifeln

Weitere Kostenlose Bücher