Der Gute Ton 1950
Ablehnung nicht mit verletzenden Erklärungen.
Passen Sie sich den Sitten des Landes an, Sie dürfen sich nicht einfach
über sie hinwegsetzen. Machen Sie sich nicht die Ansicht gewisser
Engländer zu eigen, die die Sitten ihres Landes für so international
halten, dass sie überall Leute treffen, die sie schätzen. Von dem König
des englischen Films, Ralph-Arthur Rank, erzählt man sich folgende
Geschichte: Als er nach Hollywood reiste, lehnte er es ab, sich der
amerikanischen Uhrzeit anzupassen; er lebte so weiter, als hätte er
nicht den Breitekreis gewechselt. Er bestellte die Leute zu der gleichen
Zeit, wie er es in England getan hätte. Sein Sekretär musste lediglich
die Zeit der Verabredung übersetzen zum Beispiel, wenn Arthur Rank
jemanden für 10 Uhr früh bestellte, so hiess das, dass der Besucher sich
mitten in der Nacht vorstellen sollte. Das sind Verrücktheiten, die man
nicht von jedem Menschen hinnimmt.
TRINKGELD.
Bei uns ist das Trinkgeld immer in der Rechnung eingeschlossen; dies
darf aber kein Grund sein, in den Ländern nichts zu geben, wo dies der
Grosszügigkeit des Kunden überlassen ist. Wir können nicht die Sitten
fremder Länder ändern, auch wenn Sie nicht so praktisch wie die
unseren sind. Und bei unserer Reise ins Ausland sollen wir nicht nur
die Landschaft bewundern, sondern auch neue Menschen und andere
Gebräuche entdecken.
Erlauben Sie sich im Ausland nichts, was Sie zu Hause aus Angst vor
dem »Was denken die Leute« oder vor dem Schupo nicht wagen. Wohl
zieht nicht jeder solch rasche Schlussfolgerungen wie dieser Engländer,
der in Le Hâvre, als er eben landete, eine rothaarige Frau sah und
sofort behauptete, alle Französinnen seien rothaarig. Die Ausländer
sollen nach Ihrem Benehmen nicht glauben, dass alle Ihre Landsleute
taktlose, unerzogene, trinkende Wesen und Hochstapler sind. Die
Versuchung im Ausland »anzugeben«, ist bestimmt gross, da man
unmöglich nachprüfen kann, ob Sie wirklich einer der »führenden
Köpfe« in Ihrem Industriezweig sind. Erzählen Sie auch nicht, dass Sie
ein intimer Freund des Staatspräsidenten sind, der in den schwersten
Fällen zu Ihnen kommt und ohne Ihre genialen Ratschläge eine so
grosse Verantwortung gar nicht übernehmen könnte. Glücklicherweise
glaubt man Ihnen das nur schwerlich. Aber seien Sie vorsichtig mit
dem, was Sie über Ihr Land sagen. Einfache Geister könnten es als
ewige Wahrheiten hinnehmen und bis an ihr Lebensende daran
glauben. Kein Ausländer ist Ihnen dankbar, wenn Sie schlecht über Ihr
Land sprechen, er könnte Sie deswegen eher verachten, so wie man
einen Mann nicht schätzt, der sich vor Fremden über seine Frau, seine
Kinder oder seine Eltern beklagt. Diese Dinge gehen nur Sie etwas an.
Wenn man Sie fragt, wie Ihnen das Land gefällt, in dem Sie jetzt sind,
erwähnen Sie das, was S(ie besonders bewundern. Lügen Sie ruhig ein
bisschen, wenn Sie enttäuscht waren, aber äussern Sie nicht sofort den
Wunsch sich naturalisieren zu lassen.
Es ist verständlich, dass Sie bei längerer Abwesenheit von zu Hause
mit Sehnsucht von der Heimat sprechen, vielleicht regen Sie dadurch
Ihre ausländischen Bekannten an, dass auch sie sich entschlies-sen,
ihrerseits unser Land zu entdecken.
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DIE GROSSEN EREIGNISSE DES LEBENS
Es ist ein trauriger »Fortschritt« unserer Zeit, dass der Glanz
verblichen ist, der ehemals die grossen Ereignisse unseres Lebens
überstrahlte. Sie sind leider nicht alle glücklich, aber dies darf kein
Grund sein, dass wir unsere Freunde nicht an unserer Freude
teilnehmen lassen oder auf ihr Mitleid in unserem Unglück verzichten.
Der Vorwand, dass wir sparen müssen oder viele Sorgen haben, deren
Wichtigkeit wir häufig überschätzen, dürfte selten stichhaltig sein. Es
ist verständlich, dass wir uns von aller übertriebenen Etikette befreien
wollen, es ist aber der Ausdruck einer unruhigen Zeit, alle grossen
Ereignisse unseres Lebens in solcher Intimität zu feiern, gleichsam als
versteckte sich dahinter geheime Schande. Aus diesen Gedanken
heraus werden wir in den folgenden Seiten einige Feierlichkeiten in
ihrem Glanz von gestern wieder heraufbeschwören. Wir sind
überzeugt, dass es eine Pflicht der Lebensbejahung ist, manche
vergessene Sitte wieder aufleben zu lassen. Wir müssen unseren
Freuden den ihnen gebührenden Platz geben, statt sie zu
verschweigen, als fürchteten wir, das Schicksal herauszufordern.
Wir beginnen
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