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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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entgegenzubringen,
    einzig die Tatsache, dass er Auländer ist, rechtfertigt dies nicht. Aber es
    ist »barmherzig«, dass wir uns in einem Laden als Dolmetscher
    anbieten, wenn er wegen seiner unvollkommenen Sprachkenntnisse in
    Verlegenheit ist. Wir wären sicher dankbar, wenn uns in derselben
    Lage jemand behilflich wäre. Und natürlich machen wir uns nicht über
    seine Fehler lustig, wenn er spricht. Es mag schwer sein, bei einem
    ungewollten Wortspiel immer ernst zu bleiben. Wenn wir lachen
    müssen, sollen wir ihm später den Grund hierzu erklären, damit auch
    er sich darüber freuen kann und zugleich eine Lehre daraus zieht.
    Wenn sich ein Ausländer bemüht unsere Sprache zu sprechen, müssen
    wir ihn beglückwünschen, besonders wenn wir kein Wort verstanden
    haben. Es wird ihn entmutigen, wenn wir ihn aufmerksam machen,
    dass er noch einen langen Weg gehen muss bis zur vollkommenen
    Beherrschung unserer Sprache. Auch wenn ein Kompliment
    übertrieben ist, wird es ihm die notwendige Zuversicht geben, die
    allein ihm hilft Fortschritte zu machen. Verbessern Sie ihn
    diplomatisch: sagen Sie ihm, dass er die Sprache Goethes ebensogut
    wie Sie spricht, wenn er noch ein paar Fehler vermeidet. Antworten Sie
    ihm in seiner eigenen Sprache. Er wird Ihnen sicher dankbar sein,
    wenn Sie ihm die Anstrengung ersparen, in einer anderen Sprache zu
    denken, als in seiner Muttersprache. Sprechen Sie aber sofort wieder
    deutsch, wenn S\\e sehen, dass er Sie schwerer in seiner eigenen
    Sprache versteht. Aber sprechen Sie kein gebrochenes Deutsch,
    sprechen S,ie nicht wie mit einem Baby mit ihm. Sie erleichtern ihm
    dadurch nichts. Sie werden ihn nur verletzen und machen sich selbst
    lächerlich. Die Franzosen nennen eine solche Sprache »Petit nègre«:
    kleine Negersprache. Das Wort ist amüsant, aber die Sprache ist für
    einen ausgewachsenen Europäer kindisch. Wenn Sie in Begleitung von
    Ausländern Landsleute treffen, müssen Sie die Sprache des Ausländers
    sprechen — wenn Sie es können — damit er der Unterhaltung folgen
    kann. Wenn es Ihnen nicht möglich ist, entschuldigen Sie sich und
    führen Sie die Unterhaltung in Deutsch. Aber sprechen Sie nicht über
    den Ausländer: genau wie Schwerhörige immer das verstehen, was sie
    nicht hören sollen, verstehen Ausländer in einer Sprache, die sie
    beinahe nicht kennen, immer das, was man über sie sagt.
    Man sieht einen Ausländer immer als Boten seines Landes an. Das
    ist kein Grund, um i h m das zu sagen, was Sie seiner Regierung
    vorwerfen. Kritisieren Sie auch nicht die Sitten des Staates, dem er
    angehört; er ist daran ebenso wenig schuld wie an der Aussenpolitik
    seines Landes. Ein solches Benehmen lässt ihn glauben, dass er sich in
    einem Lande befindet, in dem die elementarsten Regeln des Taktes und
    der Höflichkeit unbekannt sind. Ohne dass Sie es wollen, werden Sie
    ihn durch ein solches Benehmen davon überzeugen, dass sein Land
    allen anderen überlegen ist. Sie werden ihn so zum Chauvinisten
    machen, auch wenn er bei seiner Ankunft grosszügige, übernationale
    Ideen hatte. Und denken Sie nicht von einem Ausländer: »Was für ein
    dummer Kerl, er kann nicht einmal Deutsch«.
    IM AUSLAND.
    Sie vertreten im Ausland Ihr Land. Aber diese Vertretung sollte so
    diskret und geschickt wie möglich sein. Machen Sie keinen Krach, weil
    man Ihnen das Telefon bringt, wenn Sie ein Bad bestellt haben. Das
    beweist nur, dass Sie die fremde Sprache nicht perfekt beherrschen,
    oder dass Ihre Aussprache noch verbesserungswürdig ist. Strengen Sie
    sich ruhig noch ein bisschen an; oder verlangen Sie einen Dolmetscher,
    der verpflichtet ist, auch Ihre Muttersprache zu verstehen. Sprechen Sie
    immer langsam und deutlich die Landessprache und vergewissern Sie
    sich jedes Mal, dass man Sie gut verstanden hat, und ob Sie nicht einen
    Kuss von der Verkäuferin verlangt haben, wenn Sie ein Kissen kaufen
    wollten, — so wie es dem Held des Buches von Jerome »Drei auf dem
    Bummel« ergangen ist. Sie werden sich auch nicht in einer Kleidung an
    einen Hoteltisch setzen, in der man Sie in jedem Hotel in Deutschland
    hinauswerfen würde. Seien Sie nicht erstaunt, wenn nicht alle Welt Ihre
    Meinung teilt, dass Ihr Land den ersten Platz in der Welt verdient. Es
    ist Ihr Recht das zu glauben, aber nicht jeder muss Ihrer Meinung sein.
    Vielleicht schmeckt Ihnen die Küche des Gastlandes nicht.
    Entschuldigen Sie sich, wenn Sie etwas nicht essen können, aber
    begründen Sie Ihre

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