Der Gute Ton 1950
es
viel diplomatischer machen: Wenn Sie etwas aus der Stadt mitbringen,
erzählen Sie einfach, dass es eine sehr günstige Gelegenheit war, die Sie
nicht wollten vorübergehen lassen. Sie werden auf diese Weise das
Ehrgefühl Ihrer Gastgeber bestimmt nicht verletzen. Es wird auch
niemanden beleidigen, wenn Sie für die Kinder Süssigkeiten und für
die Dame des Hauses Pralinen oder Blumen mitbringen. Hier sind
Blumen nicht gleichsam eine Bezahlung für das Essen, wie es nach
einer Einladung in der Stadt der Fall wäre.
Sie werden mit sich zufrieden sein, wenn Sie Ihr Bett selbst auslegen
und es wieder machen — besonders, wenn es sich um einen weiblichen
Gast handelt. Man stellt seine Schuhe nicht vor die Türe wie in einem
Hotel. Wenn kein Personal da ist, fragt man, wo man die Schuhe
putzen kann. Man sollte es niemals heimlich in dem Schlafzimmer tun.
Wenn die Abreise gekommen ist, vergisst man das Personal nicht. Hier
ist ein wesentlicher Unterschied zwischen einer längeren Einladung in
ein Landhaus und einer Einladung zu einem Mittag- oder Abendessen,
im letzteren Fall gibt man der Bedienung kein Trinkgeld. Der gute Ton
schreibt vor, dass man beim Trinkgeldgeben vom Geiz so weit entfernt
ist wie von der Verschwendung. Um eine Zahl zu nennen: Man gibt
etwa 12% von dem, was der Aufenthalt in einem Hotel gekostet hätte.
Wenn man wieder zu Hause ist, vergisst man seine Gastgeber nicht
bis zu dem Zeitpunkt, wo man sich wieder einladen kann. Man
schreibt ihnen gleich einen Brief und wäre es nur, um die gute Ankunft
zu melden. Man dankt ihnen für die schönen Tage, die man bei ihnen
verbracht hat. Wenn es möglich ist, gibt man seinem Dank Ausdruck,
indem man eine Gegeneinladung ausspricht. Man kann auch ein
Geschenk senden, das ihnen Freude machen wird. Man erinnert sich
sicher irgendeiner Unterhaltung während des Aufenthaltes, in der sie
etwas erwähnten, was ihnen gefällt. Aber man soll dieses Geschenk nur
zu irgendeiner Gelegenheit: zu einem Geburtstag, oder einem Feiertag
übersenden.
XII.
DIE AUSLÄNDER. — IM AUSLAND
Der ist nicht fremd.
Wer teilzunehmen weiss.
J. W. Goethe
DIE AUSLÄNDER.
Die Zeiten sind vorbei, in denen die Beziehungen mit Ausländern
den Hoteliers und Milliardären vorbehalten waren. Fusstouren,
Autostop und Krieg haben uns durch viele Länder geführt, aber man
muss heute nicht mehr reisen, um Ausländer zu sehen. Ein Kabarettist
bemerkte einmal: »Es ist erstaunlich, wieviel Ausländer ich gesprochen
habe, ohne von Hause weggegangen zu sein; wenn ich die kleinste
Begabung für fremde Sprachen hätte, wäre ich in den letzten 10 Jahren
ein Sprachwunder geworden«.
DIE PFLICHTEN DEN AUSLÄNDERN GEGENÜBER.
Wir haben schon erwähnt, dass ein Ausländer am Tisch den
Ehrenplatz einnimmt. Man schuldet ihm noch andere Rücksichten,
aber man darf nicht in einen allzu verbreiteten Fehler verfallen: vor
ihnen jede eigene Persönlichkeit aufzugeben. Warum wollen wir sie
nachahmen, und noch dazu die schlechten und nicht die guten Seiten?
Man ist nicht modern, wenn man das ungenierte Benehmen junger
Leute nachäfft, die von Uebersee gekommen sind. Diese jungen Leute
verkörpern nicht das Ideal ihres Landes an Wohlerzogenheit und sie
werden schliess-lich noch glauben, dass sie die Manieren des guten
alten Europa haben, wenn sie sich so häufig nachgeahmt sehen. Jetzt,
da wir mit so vielen Ausländern verkehren, wissen wir, dass der gute
Ton von Europa nicht in allen Ländern gilt. Das ist aber kein Grund,
dass wir unsere Sitten durch schlechte fremde Manieren ersetzen. Ein
Ausländer vertritt für uns gewissermassen den Durchschnittstyp seines
Landes, wir spielen die gleiche Rolle in seinen Augen. Er wird uns
mehr schätzen, wenn wir w i r bleiben. Das ist der beste Weg ihm zu
beweisen, dass unsere Zivilisation doch existiert, auch wenn sie anders
als die seine ist, aber mindestens ebenso wertvoll ist. Wir müssen ihn
auf unsere Sitten aufmerksam machen, um ihm Ueberraschungen und
Verlegenheiten zu ersparen. Wenn er geistig aufgeschlossen ist, wird er
sicher seinen Aufenthalt im Ausland benutzen wollen, um das neue
Land und seine Sitten kennenzulernen. Er ist bei uns, um sich mit der
Landschaft und den fremden Menschen vertraut zu machen; wir
müssen ihm seine Entdeckungen erleichtern, und versuchen, ihm den
besten Eindruck von unserem Land zu geben. Wir brauchen ihm nicht
im ersten Augenblick eine übertriebene Sympathie
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