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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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was
    er braucht mitzubringen, indes der Gastgeber tut, als habe er einen
    Schiffbrüchigen aufgenommen.
    Der Gast kann natürlich bei Bedarf die schmerzstillenden Tabletten
    nehmen, die auf dem Nachttisch liegen, auch das Wasser in der Karaffe
    ist für ihn bestimmt, — wenn er nachts Durst hat. Das unnennbare
    Geschirr, das sich im Nachtischchen befindet, wird er allerdings nicht
    benützen. Die Gastgeber werden dem Freund, auch wenn er spät
    abends ankommt, den Weg zum Badezimmer und die verschiedenen
    Lichtschalter zeigen, damit er im Hause umhergehen kann, ohne sich
    den Kopf an einer Mauer einzurennen. Sie müssen unbedingt daran
    denken, dass der Gast in der Nacht vielleicht hungrig wird, und stellen
    aus diesem Grunde eine Schale Obst auf die Kommode. Auch
    Zigaretten werden nicht vergessen. Die Schachtel steht, geöffnet, gut
    sichtbar, auf dem Tisch. Aber ein wohlerzogener Gast bedient sich
    nicht; er hat seine eigenen Zigaretten mitgebracht und raucht nicht auf
    Kosten anderer. Man fragt den Gast, was er gerne isst und unterrichtet
    sich, was er zum Frühstück nimmt. Es genügt nicht, nach dem Getränk
    allein zu fragen. Es gibt Leute, für die das Frühstück das Hauptessen
    des Tages ist. Man soll nicht versuchen, ihre Gewohnheiten zu ändern
    und sie zu einer Ernährungspolitik zu bekehren, die angeblich
    gesünder als die ihre ist. Ein Gastgeber vergisst auch die Unterhaltung
    seiner Gäste nicht! Er darf nicht glauben, dass er seine Pflicht erfüllt
    hat, wenn er seine Gäste anständig unterbringt und ernährt und
    gelegentlich die Wäsche wäscht. Man erklärt ihnen die
    Sehenswürdigkeiten und zeigt die lohnenden Ausflüge. Man muss sie
    nicht immer begleiten, aber man verlangt auch später keine
    Erklärungen. Selbstverständlich stellt man seine Bibliothek zur
    Verfügung. Ein Gast soll aber nicht den Eindruck haben, dass seine
    Ankunft eine ungewöhnliche Aufregung verursacht. Er würde sich
    gehemmt fühlen und vielleicht seinen Aufenthalt abkürzen.
    Ein Gast muss sich wie zu Hause fühlen, deshalb erlaubt man ihm,
    gelegentlich kleine Hilfsdienste zu leisten. Man wird ihn zwar nicht in
    den Keller schicken um Kohlen zu holen, das wäre leicht übertrieben.
    Aber er kann z. B. ruhig bei einem Lieferanten einen Auftrag
    ausrichten.
    DIE PFLICHTEN DES GASTES.
    Zunächst einmal kommt der Gast nicht mit leeren Händen an. Er
    bringt nicht nur sein persönliches Gepäck mit, sondern er hat
    Geschenke für seine Gastgeber vorgesehen. Sie müssen nicht sehr
    prächtig sein, — aber grosszügig wie ein Gast sein soll — vergisst er
    niemanden im Hause, weder Grosseltern noch Kinder, die meistens
    sehr empfindlich für kleine Aufmerksamkeiten sind. Der Gast wählt
    die Geschenke so aus, dass sie dem Geschmack der Empfänger
    entsprechen — soweit er dies beurteilen kann. Er wird seinen Freunden
    bei der Ankunft sagen, wie lange er voraussichtlich bleiben wird, — es
    wäre ja möglich, dass die Gastgeber nach ihm andere Gäste erwarten.
    Es ist für die Gastgeber sicher sehr schmeichelhaft, wenn man am
    Vorabend der Abreise sagt: »Man wohnt wirklich zu gut bei Ihnen, ich
    bleibe noch ein paar Tage«, oder »Ich habe es mir überlegt, ich fahre
    erst nächste Woche«, aber sie werden diese Aen-derung der Pläne
    schwerlich immer schätzen.
    Andererseits empfiehlt sich auch kein zu zurückhaltendes Benehmen.
    Man soll nicht dauernd fürchten, indiskret zu sein, wohl zieht man sich
    sofort zurück, wenn die Gastgeber sich mit Fragen beschäftigen, die sie
    allein angehen. Wenn sie eines ihrer Kinder tadeln, enthält sich der
    Gast des Urteils, er versucht keinesfalls, seine eigene
    Erziehungsmethode anzuwenden oder das bisherige Erziehungssystem
    zu ändern. Der Gast bringt in seinem Gepäck all das mit, was er
    während seines Aufenthalts braucht, damit er die Grosszügigkeit
    seiner Freunde nicht missbraucht. Vielleicht haben Ihre Gastgeber
    wenig oder gar kein Personal, dann werden Sie ihnen nach Möglichkeit
    allzu viele Arbeit ersparen: Sie kommen nicht mit einem Koffer voll
    schmutziger Wäsche, damit gleich ein Waschtag für Sie eingelegt
    werden muss.
    Auf dem Land wird es als Unterhaltung angesehen, in die Stadt zu
    fahren und einzukaufen. Jetzt, da die Zeiten wieder normal geworden
    sind, ist es nicht mehr nötig, dass Sie Ihren Teil zur Ernährung der
    Gastgeber beitragen. Wenn Sie es dennoch tun, könnten Ihre Freunde
    glauben, dass Sie sich bei ihnen nicht sattessen können. Man kann

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