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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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geben, als interessiere er sich für das Leben seiner
    Angestellten, die Angestellten können sich gelegentlich nach dem
    Ergehen des Chefs und seiner Familie erkundigen. Der Chef sollte jede
    übertriebene Vertraulichkeit vermeiden, die für beide Teile nur
    peinlich sein könnte. Er ladet niemand zum Essen ein, der sich nicht
    revanchieren kann. Eine solche Einladung wäre für den Eingeladenen
    gleichbedeutend mit Ueberstunden. Er hätte gern auf diese Ehre
    verzichtet. Man wird auch seinen Chef nicht bitten, Trauzeuge oder der
    Pate seines Kindes zu sein. Solche Freundschaftsbeweise müssen vom
    Chef ausgehen. Er könnte sonst glauben, der Angestellte wolle sich
    Liebkind bei ihm machen.
    DIE PÜNKTLICHKEIT.
    Es gibt Menschen, die es für klug halten, auf sich warten zu lassen.
    Sie sind der Meinung, damit ihre Ueberlastetheit zum Ausdruck zu
    bringen, damit die »Gnade« mehr geschätzt wird, die sie jemandem
    gewähren, wenn sie ihn empfangen. Was kann man von einem
    Minister oder hohen Staatsbeamten erwarten, der sich für 2 Uhr
    verabredet, aber erst um 8 Uhr oder sogar am nächsten Tag die
    Audienz gewährt. Man kann nur hoffen, dass er es besser versteht, das
    Land zu verwalten, als seinen Stundenplan einzuteilen! Man muss aber
    zugeben, dass die meisten heutigen Minister höflich und verständig
    genug sind, um diesen Missbrauch auszumerzen. Sie haben den Fehler
    jenen vererbt, die davon träumen, einmal Minister zu werden, vorerst
    aber andere warten lassen und glauben, heute schon eine wichtige
    Persönlichkeit zu sein.
    DIE FEINDE.
    Wenn dieses Buch »der gute Ton 1900« hiesse, würde es die
    unentbehrlichen Regeln über das Duell enthalten, jenen Luxussport der
    oberen Zehntausend des vorigen Jahrhunderts. Ah, welch' wunderbare
    Zeit! Natürlich konnte es vorkommen, dass jemand in einem Duell
    getötet wurde, aber dann war es nur ein Unfall. Es gab unter den
    Studenten Säbelduelle, denen mehrere Generationen Schmisse
    verdanken, welche den Frauen jener Zeit so anziehend erschienen. Das
    Duell ist tot, und wir trauern ihm nicht nach, nicht jenen
    tragikomischen Ohrfeigen, den Verschönerungsversuchen, dem
    Austausch der Visitenkarten, der Verachtung, mit der man seinen
    anerkannten Feind strafte... Unsere sportliche Zeit soll lieber nicht
    versuchen, das Duell durch einen Faustkampf zu ersetzen. Noch ist es
    nicht Mode, dass die romantische Jugend das verstümmelte Ohr und
    das blaugeschlagene Auge eines Boxers bewundert, wie ihre
    Grossmütter die tiefen Schmisse ihrer Kavaliere. Ein Mann »trägt« im
    Jahre 1950 noch keine plattgeschlagene Nase. Man sollte Schlägereien
    jeder Art dem Wilden Westen überlassen. Man kann Feinden
    gegenüber — die ja jeder hat — eine gleichgültige Haltung empfehlen;
    aber vielleicht wäre sogar eine sehr freundliche Haltung vorzuziehen,
    von besorgter Aufmerksamkeit überschäumend, mit der Anrede
    »Lieber Freund« zum Beispiel. Man wird den »besten Freund«
    klugerweise mit Fragen über seine Geschäfte, seine Familie und seine
    Gesundheit überschütten. Es gibt kein wirksameres Mittel, seine
    Feinde zu verwirren!
    XV.
    DI E U NTERHALTUNG
    Die Unterhaltung ist eine schwierige Kunst, das schwerste daran ist,
    ein passendes Thema zu finden.
    DER REGEN UND DAS SCHÖNE WETTER
    sind wunderbare Themen, ein unerschöpflicher Gegenstand, eine
    Unterhaltung einzuleiten. Es kann kalt oder warm sein, man hat immer
    Grund, sich darüber zu freuen oder zu klagen. Und die Ernten
    interessieren jedermann. Es kann nur schwerlich eine Diskussion über
    dieses Thema entstehen. Es ist aber unelegant, untrügliche eigene
    Wetterpropheten zu zitieren, wie zum Beispiel Hühneraugen, Ischias
    und andere Uebel. Wenn sie besonders sichere Wetterpropheten sind,
    lassen Sie andere an ihnen teilhaben, aber ohne »Quellenangabe«.
    DIE GESUNDHEIT.
    Die Dame des Hauses erkundigt sich nach der Gesundheit ihrer
    Gäste, aber ohne näher einzugehen, nur mit der Frage: Wie geht es
    Ihnen?, falls es sich nicht um einen Kranken handelt. Bei einem
    Zusammentreffen auf der Strosse ist man noch dis-
    kreter. Eine Gastgeberin wird einen Gast nicht als Herrn X, der gerade
    von einer Psychoanalyse kommt, oder, der einige Monate in einer
    Nervenheilanstalt war, vorstellen. Man wird auch nicht über
    gegenwärtige oder vergangene Krankheiten anderer sprechen, dieses
    Thema ist niemals reizvoll.
    DAS «LIEBE« ICH.
    Ein Salon ist kein Vortragssaal. Wenn Sie kein glänzender Redner
    sind, wird sich

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