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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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niemand für den Bericht überall' das interessieren, was
    Ihnen in den letzten Tagen zugestossen ist. Andere sind genau wie wir
    selbst, sie stellen das, was sie angeht, über alles. Wenn wir gefallen
    wollen, werden wir über das sprechen, was den anderen Freude macht
    und nicht über das, was uns interessiert. Die Rolle der Gastgeber
    verlangt, dass sie jeden ihrer Gäste ins rechte Licht setzen. Sie werden
    sich bemühen, die Unterhaltung auf ein Thema zu bringen, das ein
    Spezialgebiet einer ihrer Gäste streift und das von allgemeinem
    Interesse ist.
    DIE GELEGENHEIT BEIM SCHOPF FASSEN!
    Wir haben eben allgemein interessierende Dinge erwähnt. Wenn der
    Finanzminister unser Gast ist, werden wir nicht von ihm verlangen,
    dass er uns bei unserer Steuererklärung hilft. Man verlangt ja auch
    vom Arbeitsminister nicht, dass er einen Nagel einschlägt, oder vom
    Ernährungsminister, dass er in der Küche hilft.
    Man kann aber sehr wohl einen Finanzminister fragen, was er über
    eine etwaige Abwertung denkt, ohne jedoch Fragen zu stellen, die ihn
    zu dienstlichen Indiskretionen zwingen könnten. Man kann sich mit
    einem Arzt über neue Heilwege unterhalten ohne die Gelegenheit beim
    Schopf zu fassen, um ihn »kostenlos« über den eigenen Krankheits-
    fall zu befragen. Das wäre doppelt unhöflich, da wir schon gesehen
    haben, dass es unschön ist, vom eigenen Ich zu sprechen.
    VERBOTENE THEMEN.
    Es gibt Themen, über die nur Menschen mit sicherem Instinkt
    sprechen sollten. Man spricht z. B. nicht über Religion mit einem
    Geistlichen, wenn man nicht derselben Ansicht ist. Man spricht auch
    mit einem Abgeordneten nicht von Politik, wenn man nicht der
    gleichen Partei angehört. Politik könnte sonst ein Gesellschaftszimmer
    in einen Jahrmarkt verwandeln. Es ist erstaunlich, wie Menschen, die
    man als kaltblütig und gut erzogen schätzt, sich verändern, wenn sie
    ihre politischen Ideen verteidigen. Schon eine politische Diskussion
    zeigt auch dem Dümmsten, wie Kriege entstehen. Es gibt allerdings
    Zeiten, in denen dieses Thema nicht ausgeschaltet werden kann, zum
    Beispiel während einer Wahl. Eine Gastgeberin hatte während einer
    politisch bewegten Zeit einige Gäste eingeladen. Aus Furcht, ihr
    Esszimmer könnte sich in einen Versammlungssaal mit freier
    Diskussion verwandeln, hatte sie ihre Gäste beschworen, nicht von
    Politik zu sprechen. Nach einigen Minuten war sie von dem
    Stillschweigen, das um sie herrschte, so bedrückt, dass sie ihre Gäste
    anflehte, endlich von der Politik zu sprechen.
    UNPASSENDE THEMEN.
    Die Ernährung ist kein schöner Unterhaltungsstoff, ausserdem ist in
    den letzten Jahren zu viel darüber gesprochen worden. Es ist höchste
    Zeit, dieses Thema zu vergessen. Die Preise sind auch kein erfreulicher
    Gegenstand. Aber man kann jedes Gesprächsthema veredeln; wenn
    man zum Beispiel von Preisen spricht, kann man das Verhältnis der
    Preise zu den Gehältern erörtern, ohne jedoch dabei zu genau auf die
    Ursachen der Krise und der Arbeitslosigkeit einzugehen, da man sonst
    eines jener Themen bedenklich streift, das wir soeben als tabu
    bezeichneten.
    HARMLOSE GESCHICHTEN.
    Es gibt viele gefährliche und unschöne Themen. Aber Gott sei Dank,
    bleiben uns harmlose, amüsante, heitere Geschichten. Aber auch mit
    ihnen sollte man vorsichtig sein. Man soll seine Geschichte erst einmal
    einem guten Freund erzählen, um zu sehen, ob sie wirklich komisch ist
    und ob sie nicht eine überdurchschnittliche Geistesanstrengung
    verlangt, um gleich und nicht erst morgen verstanden zu werden. Sie
    sollten Ihren Freund auch fragen, ob Sie die Geschichte gut erzählen,
    denn viele erzählen zu ihrem eigenen Vergnügen und nicht zum
    Vergnügen ihrer Mitmenschen. Oft muss man eine Viertelstunde lang
    zuhören, ehe endlich die Pointe kommt. Eine kleine Geschichte soll wie
    eine Varietenummer »gut sitzen«. Man soll nicht selbst lachen, wenn
    man beginnt, seine Geschichte zu erzählen, es könnte vorkommen, dass
    Sie der einzige sind, der lacht.
    DIE ÜBEREMPFINDLICHEN.
    Und schliesslich muss man auf die übergrosse Empfindlichkeit der
    Menschen Rücksicht nehmen.
    Man kann zum Beispiel in aller Unschuld eine ganz harmlose
    Geschichte erzählen, etwa so:
    »Sie kennen die Geschichte vom Tünnes, der aus dem Beiwagen fiel
    und den die Strassenpassanten zu retten glaubten, indem sie ihm den
    Kopf an die »richtige« Stelle setzten, während doch der arme Tünnes
    seine Weste »verkehrt« angezogen hatte,

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