Der Gute Ton 1950
um sich gegen den Wind zu
schützen?« Wer würde sich ärgern, wenn er diese Geschichte hört?
Niemand, glauben Sie. Und doch kann in der Gesellschaft eine Dame
sein, (und Damen sind häufig ieichter gekränkt als Herren) die einen
steifen Hals hat und mit Schaudern an solche Heilmittel denkt.
Erschreckt greift sie an ihren Hals und Sie können versichert sein, dass
sie überall erzählen wird, Sie seien ein Sadist. Erzählen Sie auch nicht
Geschichten, die den Geiz einer Religion oder gewisser Gegenden eines
Landes charakterisieren! Ein Vertreter dieser Religion oder dieses
Landes kann immer zugegen sein, Geschichten von geizigen Menschen
zum Beispiel sollte man nur erzählen, wenn man selbst Schotte ist.
DANKBARE THEMEN.
Dankbare Themen sind zugleich harmlose Themen, wie die
weibliche Mode zum Beispiel. Eine solche Diskussion kann sich
schwerlich in einen Boxkampf verwandeln. Aber die Herren werden
über ein solches Thema nicht begeistert sein, besonders wenn eine
Dame die Gelegenheit benutzt, um sich ihrem Mann zuzuwenden und
zu erklären: »Siehst du, Liebster, ich muss wirklich meine Garderobe
erneuern« oder zu den Damen: »Mein Mann ist so schrecklich
unverständig.« Auch hier gilt die Regel: nicht Einzelfälle besprechen,
sondern immer allgemein bleiben. Die Mode wird nur einen Teil der
Gesellschaft interessieren. Aber ein neuer Film, ein neues Schauspiel,
eine Oper oder ein Konzert oder selbst ein Verbrechen aus
Leidenschaft werden jedem erlauben, einige Sätze zur Unterhaltung
beizusteuern.
Es ist kein Zeichen guter Erziehung, wenn jemand zu einem dieser
Themen mit lauter Stimme erklärt: »Ich gehe nie ins Theater, ich höre
nie den Rundfunk, oder ich überlasse die Kinos den Nichtstuern und
Verliebten.« Es steht jedermann frei, eine Kunstausstellung schön zu
finden oder nicht und es auch zu sagen; aber auch hier entscheidet der
Ton. Man sagt, dass man von diesem oder jenem Maler nicht begeistert
ist; aber man wird Ihnen keine zu definitiven, krassen Worte verzeihen,
wenn Sie z. B. sagen, dass nur dumme Menschen solch ein Gekritzel
anschauen können. Diese angeblich »dummen Menschen« werden Sie
als beschränkt betrachten und werden Sie meiden.
DIE GEHEIMNISSE.
Die Geheimnisse sind ein wundervolles Unterhaltungsthema. In
jedem Mann und noch mehr in jeder Frau steckt unbewusst ein
Waschweib. Andere sind Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihnen ein
Geheimnis anvertrauen. Und sie werden Ihnen ihre Dankbarkeit
beweisen, indem sie das Geheimnis, allen denen erzählen, denen Sie es
nicht erzählt haben wollten.
1. Akt: Sie vertrauen jemanden das Geheimnis an,
2. Akt: Ihr »Vertrauter« erzählt das Geheimnis der Person, der
sie es gerade nicht erzählen soll, unter Ehrenwort, dass sie Ihnen nichts
wiedererzählt.
3. Akt: Die Person, der das Geheimnis weitererzählt wurde,
kommt zu Ihnen und fragt unter dem Siegel der Verschwiegenheit, ob
es wirklich wahr ist, dass Sie das Geheimnis jemandem anvertraut
haben mit der Bitte, das Geheimnis zu wahren. — Und das kleine Spiel
beginnt wieder von neuem.
Es ist immer gut, einige Geheimnisse zu seiner Verfügung zu haben,
die verbreitet werden dürfen!
DIE KOMPLIMENTE
Wovon soll man in Gesellschaft sprechen, wenn man nicht über eine
dritte Person sprechen darf? Man macht Komplimente! Aber richtige
Komplimente, denn man kann mit diesem Wort nicht jene
Wertschätzung bezeichnen, die Sie auf Grund Ihres Alters oder Ihres
Rangs zu machen sich berechtigt glauben. Sie machen eine richtige
Musterung und stellen fest, dass X schöne Augen oder dass X schönes
Haar hat. »Was den Rest angeht, werde ich meine Meinung lieber nicht
sagen.« Oder Sie haben das Bedürfnis, wenn Sie X's Eitern kennen,
festzustellen, von wem X die Nase oder den Mund geerbt hat. Für
diese Enthüllungen soll man Ihnen dankbar sein.
Es gibt auch falsche Komplimente, die nur ein Vorwand für ein
abfäliges Urteil sind: Wenn eine Frau einer ihrer Freundinnen sagt,
dass sie die Kunstfertigkeit bewundert, mit der die andere sich
schminkt, so heisst das: »Ohne Schminke wäre sie hässlich wie eine
Eule.« Die Komplimente müssen aufrichtig sein, damit man sie
glauben kann. Aber wenn man nur ehrliche Komplimente machen
wollte, würde man nur sehr wenige machen können. Man soll die
Methode Coue anwenden, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, dass
eine Dame von Kopf bis Fuss bezaubernd ist. Es ist nicht Heuchelei,
sondern es ist oberste
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