Der Gute Ton 1950
langweilt. Wenn man zu gleicher Zeit wie jemand anderes
anfängt zu sprechen, entschuldigt man sich, selbst wenn man für
diesen Missgriff nicht verantwortlich ist. Die ältere oder überlegenere
fährt fort zu sprechen, nachdem die jüngere sie mit einer
entgegenkommenden Bewegung darum gebeten hat.
Und nun:
DIE INDISKRETEN FRAGEN.
Oscar Wilde behauptet, es gäbe keine indiskreten Fragen, sondern
nur indiskrete Antworten. Das ist etwas paradox. Aber es ist wahr,
dass man immer genügend ausweichende Antworten geben kann, um
die Indiskretion der Frage nicht mit einer klaren Auskunft zu
belohnen. Man vergisst zu häufig, dass es taktlos ist, von Geld zu
sprechen. Man soll nicht plötzlich fragen, wie Frauen es so oft tun —
was dieser oder jener Gegenstand kostet, und wo man ihn gekauft hat.
Sie verdienten eigentlich, dass man mit einem falschen Preis und einer
falschen Adresse antwortet. Es ist ebenso unerzogen, von sich aus den
Preis einer Sache zu sagen. Man stellt auch keine Fragen über das
Vermögen der Mitmenschen, man macht aber auch nicht Angaben
über seine eigene Vermögenslage.
XVI.
GESCHENKE, GLÜCKWÜNSCHE
Ein Geschenk gibt immer etwas von dem Charakter des
Schenkenden, wie auch von seiner Absicht kund. Wenn die Menschen
von dieser unbestreitbaren Wahrheit überzeugt wären, würden häufig
unpassende Geschenke vermieden, und man wählte mit etwas mehr
Phantasie.
DIE PFLICHT ZU GEFALLEN.
Ein Geschenk soll gefallen. Es ist nicht nur ein Mittel, sich von einer
Verpflichtung zu befreien. Erst muss die Gelegenheit gewählt werden,
um ein Geschenk zu machen. Es kann sein, dass sie schon von selbst
gegeben ist, wie zum Beispiel eine Hochzeit, eine Taufe, Kommunion.
Häufig wird ein Geschenk nur gemacht, um sich zu revanchieren.
Man bringt keine Blumen mit, wie wir schon bemerkten — wenn
man zu einem Essen eingeladen ist, — nur zu einem Geburtstag. In
diesem Fall sind die Blumen nicht der Dank für die Einladung sondern
der Glückwunsch zum Geburtstag. Viele glauben, es sei aufmerksam,
wenn sie erst beim Nachtisch verkünden, dass es sich um ein
Geburtstag handelt. Die Sorge, dass man seinen Gästen eine Ausgabe
erspart, ist für die Gäste beleidigend. Wer das Aelterwerden fürchtet,
und für wen der Geburtstag eine traurige Angelegenheit ist, dem
sendet man das Geburtstagsgeschenk an seinem Namenstag, und er
wird besonders erfreut sein, weil man an an diesem Tag keine
Geschenke erwartet. Die Ueber-raschung macht bescheidener. Aber
dies ist doch keine Rechtfertigung, ein minderwertiges Geschenk zu
machen.
GELDGESCHENKE.
Man soll sie den Leuten überlassen, die keine Phantasie haben.
Wenn auch das Geld häufig seinen Wert verändert oder verliert, weiss
der Schenker doch ganz genau, was er gibt, es ist offenherzig, aber man
nimmt dem Geschenk seinen schönsten Reiz: das Geheimnis seines
Preises. Man kann sich Geldgeschenke nur Angestellten, Hauspersonal
oder jungen Verwandten gegenüber erlauben.
Ein richtiges Geschenk soll ein Andenken sein, und in diesem Fall
wäre die Erinnerung nur eine Zahl. Ehe man Kindern Geld gibt, muss
man die Eltern um Erlaubnis fragen; man muss wissen, ob es mit ihren
Grundsätzen übereinstimmt. Auf jeden Fall wird das Geld in einem
Umschlag überreicht. Der Empfänger bedankt sich, ohne zu wissen,
um welche Summe es sich handelt.
BLUMEN.
Sie sind jene Art Geschenk, das man bei jeder Gelegenheit jedem
schenken kann. Aber man darf nicht vergessen, dass die meisten
Menschen die Bedeutung der Farben kennen und wissen, dass Blau die
Farbe der Treue, Gelb die Farbe des Hasses und Neides, sowie der
Eifersucht ist, dass Weiss die Reinheit, Grün die Hoffnung ist, und dass
es kein glühenderes Geständnis gibt, als wenn man rote Rosen schenkt.
Man bringt einen kleinen Blumenstrauss, wenn es nur eine kleine
Aufmerksamkeit sein soll; ein grosses Bouquet lässt man durch das
Blumengeschäft schicken, man fügt eine Visitenkarte bei. Man schenkt
Maiglöckchen am 1. Mai, das ist eine Gelegenheit, die man nicht
vorbeigehen lassen sollte. Ostern oder Neujahr rechtfertigen auch einen
Blumengruss.
KUNSTGEGENSTÄNDE
gefallen nicht immer und haben nur den Wert, den man ihnen selbst
gibt. Nippessachen oder billige schmiedeeiserne Gegenstände werden
in einigen Jahren ihrem Gewicht nach geschätzt werden. Ohne den
Geschmack eines Menschen zu kennen, kann man ihm immer einen
Rubens! schenken, auch wenn er klein ist, aber er
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