Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Trick, den schon die Karthager für ihre geheimen Botschaften benutzten.«
»Das kommt mir vor wie lauter Abkürzungen«, bemerkte Ignazio. »Aber ich begreife nicht, worauf sie sich beziehen könnten. Vielleicht haben wir einen Fehler gemacht.«
»Keinesfalls …« Der alte Mann war an seine Seite getreten. »Lass es mich genauer ansehen. Diese Abkürzungen erinnern mich an etwas.«
cub. VI
arm. I
plu. II
»Genau, wie ich dachte!« Er schlug mit der Faust triumphierend in die andere Handfläche. »Es handelt sich um den Standort eines Buches.«
»Würdest du bitte so freundlich sein, uns an deinem Geistesblitz teilhaben zu lassen?«, fragte Ignazio, verärgert darüber, dass ihm jemand bei der Lösung zuvorgekommen war.
»Ganz einfach. Die Kürzel stehen für cubiculum VI , armarium I und pluteum II . Übersetzt: Raum VI , Schrank I , Fach II . Nach dieser Systematik ordne ich seit vielen Jahren die Bücher in meiner Bibliothek. Jeder Abkürzung entspricht ein fester Standort, denn alle Räume, Schränke und Fächer sind durchnummeriert. Und auf diese Weise ist der Standort jedes Buches in einem dicken Register verzeichnet, damit ich es mühelos und jederzeit wiederfinden kann.«
»Ich verstehe … Viviën hat also deine Methode angewendet, um sein Geheimnis zu verbergen.«
»So muss es gewesen sein. Kommt!«, forderte Asclepios sie auf und tauchte in seine verwinkelte Bibliothek ein.
Die beiden Gefährten folgten ihm.
Beim Betrachten der Regale stellte Ignazio fest, dass die Bibliothek nicht nur Bücher über Medizin beinhaltete, sondern auch Werke der Philosophie, Mathematik und Literatur. In jahrelanger Suche hatte der alte Berber unschätzbares Wissen angesammelt, ein Spinnennetz aus Tinte, in das der Geist des Morgen- wie des Abendlandes verwoben war.
Asclepios schritt langsam vorwärts und leuchtete mit einem Kerzenstummel den Weg. Mit knappen Bewegungen zählte er sorgfältig Räume und Regale ab, und nachdem sie einen schmalen Durchgang passiert hatten, verkündete er: »Hier ist es. Wir befinden uns im sechsten cubiculum .« Vor einem ausladenden Schrank blieb er stehen, öffnete ihn und beleuchtete das Innere mit der Kerze.
Ignazio trat fiebernd vor Ungeduld neben ihn. »Ist das der erste Schrank armarium I ?«
»Ja.«
»Dann müssen wir also im zweiten Fach suchen.«
Der alte Mann besah sich, was auf dem hölzernen Regalboden gelagert war. »Hier ist nichts«, murrte er enttäuscht. »Einige Handschriften … Ein Buch über den persischen Sufismus … ein medizinisches Traktat von Rhazes aus Bagdad … Sonst nichts.«
»Warte«, sagte Ignazio. »Was ist das da ganz hinten in der Ecke?«
Asclepios leuchtete mit der Kerze, deren Schein auf ein kleines Gefäß aus Terrakotta traf. Es sah aus wie eine kleine Ampulle. Ignazio streckte die Hand danach aus und nahm es vorsichtig heraus.
»Dies ist ein encolpius «, sagte er. »Eine Phiole, um Reliquien darin aufzubewahren. Sehen wir nach, was sie enthält.«
Er zog den Pfropfen heraus, mit dem die Öffnung verschlossen war, drehte das Gefäß um und schüttete den Inhalt auf seine Handfläche. Ein winziger gerollter Papyrus und einige getrocknete Samen und Wurzeln kamen zum Vorschein.
Auf den ersten Blick hätten sie für ein ungeübtes Auge wie ein Häuflein Reliquien oder ein Blatt mit einem Gebetstext aussehen können. Doch es war etwas ganz anderes.
Ignazio roch an den Samen und Wurzeln, dann löste er das schmale Lederband um die Schriftrolle. Begierig las er, was dort geschrieben stand, dann rollte er sie hastig auf und verstaute sie mit dem restlichen Inhalt wieder in dem Gefäß.
»Was hast du gefunden?«, fragte Asclepios. »Ist das der vierte Teil des Buchs? Das Geheimnis des Engels Amezarak?«
»Ja«, erwiderte Ignazio triumphierend. »Es handelt sich um das Rezept für das Haoma , einen alten magischen Trank, den die persischen Mager benutzten. Er wurde bei den wichtigsten rituellen Handlungen eingesetzt, weil man glaubte, mit seiner Hilfe sei es möglich, die Seele vom Körper zu trennen und sie den himmlischen Sphären anzunähern.«
»Das Haoma ?« Der alte Mann zupfte an seinem grauen Bart. »Ich war überzeugt, das ursprüngliche Rezept sei verloren gegangen. Es heißt, Zarathustra hätte seinen Gebrauch verboten.«
»Das stimmt. Außerdem nahm ich an, dass einige Zutaten nicht mehr zu beschaffen seien. Doch Viviën hat die wichtigsten aufgespürt und sie zusammen mit dem Rezept in diesem Gefäß
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