Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
du gelernt, so zu kämpfen?«, fragte Uberto, erstaunt darüber, dass es ihm gelungen war, seinem Begleiter ein paar Worte zu entlocken und ihn sogar in gute Laune zu versetzen.
»Auf einem Piratenschiff«, erwiderte Willalme und zwinkerte ihm zu.
Uberto starrte ihn eine Weile beeindruckt an. Wie viele Geheimnisse barg dieser Mann! Vielleicht sogar noch mehr als Ignazio da Toledo. Mit seinen langen blonden Haaren und dem entschlossenen Blick wirkte der Franzose wie ein edler Ritter, ein Krieger.
Nach einer Weile hörte man Ignazio von der Spitze des Zuges rufen: »Endlich sind wir angekommen!«, und er zeigte nach oben.
Uberto sah einen imposanten Mauerring vor sich. Hinter dessen Zinnen erhob sich das Kloster San Michele della Chiusa. Es wirkte wie ein steinerner Riese, dem von einem engen Kranz von umstehenden Gebäuden die Luft abgeschnürt wurde. Insgesamt fehlte es dem Komplex an Harmonie, doch das war verständlich, denn es war gewiss nicht leicht gewesen, einen solchen Bau hoch oben auf der Felsenspitze zu errichten.
Die drei Reisegefährten schlossen sich der langen Reihe von Pilgern an, die sich vor dem Tor drängten, und warteten, bis ihnen Einlass gewährt wurde.
Nachdem sie die äußeren Schutzmauern hinter sich gelassen hatten, schien es ihnen, als wären sie in den inneren Bereich einer Burg vorgestoßen. Auf den Wegen wimmelte es von Mönchen und Dörflern, und überall, wo sie sich kreuzten, stand allerlei Volk von Händlern, die Stoffe und Pelze verkauften, über Bettler bis hin zu Rittern.
In den Stallungen übergaben sie ihre Pferde einem Reitknecht und machten sich zu Fuß zum Kloster auf. Zum ersten Mal zeichnete sich erkennbar Ungeduld auf dem Gesicht des Händlers ab.
Ignazio trat zu einer Gruppe Mönche, begrüßte sie ehrerbietig und fragte, wo er Pater Viviën de Narbonne finden könnte. Die Benediktiner berieten sich zunächst untereinander, und schließlich kam der Älteste von ihnen, ein spindeldürrer, asketisch wirkender Mann, auf ihn zu. Er rieb sich die vom Fasten eingefallenen Wangen und antwortete:
»Den kennen wir nicht. Doch das kann gut sein, da hier so viele Mönche leben. Fragt den alten Cellerar Pater Geraldo da Pinerolo. Er ist schon sehr lange hier und kennt alle Mitglieder des Klosters. Zu dieser Zeit hält er sich üblicherweise beim Portal der Klosterkirche auf.«
Ignazio dankte ihm und verbeugte sich leicht. Die Mönche segneten ihn und entfernten sich darauf.
Die drei Gefährten machten sich, wie man es ihnen geraten hatte, auf den Weg zur Klosterkirche und stiegen eine breite, in den Fels gehauene Treppe nach oben. Schließlich erreichten sie einen grasbewachsenen, mit Steinen übersäten Vorplatz, hinter dem sich die Kirche San Michele Arcangelo erhob. Sie blieben vor dem Eingangsportal stehen, um die schön gearbeiteten Basreliefen zu bewundern, die die Sternzeichen darstellten.
»Dieses Portal ist beinahe ein Jahrhundert alt«, sagte plötzlich eine heisere Stimme hinter ihnen. Ignazio, Uberto und Willalme wandten sich überrascht um. Dort stand ein alter Mönch, er war klein, hatte ein runzliges Gesicht, und seine Augen funkelten lebhaft.
Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: »Ist dieses Portal nicht wunderschön? Ich bleibe jeden Tag stehen und sehe es mir an. Ein gewisser Nicholaus hat es geschaffen, der auch die Türen der Kathedrale von Ferrara gestaltet hat. Viele hielten ihn für einen Spanier, aber ich habe immer angenommen, dass er aus dem Languedoc kam. Vielleicht war er sogar ein Katharer«, sagte der Mönch spitzbübisch und entblößte beim Lachen seinen zahnlosen Mund.
»Seid Ihr vielleicht Pater Geraldo da Pinerolo?«, fragte Ignazio.
»Ja, der bin ich. Was kann ich für Euch tun, verehrte Pilger?«
»Wir suchen einen Mönch. Sein Name ist Viviën de Narbonne, und man hat uns gerade gesagt …«
»Viviën de Narbonne?«, unterbrach ihn Geraldo, und das Lächeln verschwand schlagartig aus seinem Gesicht. Er musterte die Fremden aufmerksam. »Wer seid Ihr, dass Ihr nach ihm sucht?«, forschte er und sein langer weißer Bart zitterte bei dieser Frage.
»Wir sind Freunde«, erwiderte Ignazio, den die Reaktion des alten Mönches verwirrte. »Er hat uns vor wenigen Monaten einen Brief geschrieben, und wir sind bis hierher gereist, um ihn zu treffen.«
»Das kann nicht sein!«, rief der Mönch aus. »Viviën de Narbonne ist vor dreizehn Jahren gestorben!«
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Slawnik saß nun schon seit zwei Wochen beinahe ununterbrochen im
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