Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Zimmermann«, erklärte Willalme, die blauen Augen starr auf den Sonnenuntergang gerichtet. »Ich erinnere mich an seine schweren, rauen Hände mit den vielen Narben von den Holzsplittern. Er war groß und kräftig und bei allen hoch angesehen. Meine Mutter dagegen war schlank und blond, wie meine Schwester.«
»Wo sind sie jetzt?«
Der Franzose senkte den Blick und versuchte, seinen tiefen Schmerz zu verbergen. »Im Juli 1209 beschlossen Papst Innozenz der Dritte und Arnaud Amaury, der Abt von Cîteaux, meine Geburtsstadt Béziers auszulöschen. Als das geschah, wusste ich nicht einmal, welches Jahr wir schrieben, das erfuhr ich erst später«, antwortete er ausweichend. »Béziers liegt nicht weit von hier ganz in der Nähe des Meeres. Es hieß, die ganze Stadt sei ein Hort der Ketzer … Und weiter, dass es ein göttlicher Auftrag sei, sie zu zerstören, eine würdige Mission für die Kreuzritter. Ich weiß nicht, ob das stimmte, ich war damals erst dreizehn Jahre alt. Doch eines weiß ich ganz sicher: Weder ich noch meine Familie waren Ketzer, wir wussten nicht einmal, was die Worte ›Albigenser‹ oder ›Katharer‹ bedeuteten.«
Uberto sah ihn überrascht an.
»Die Kreuzritter folgten dem Aufruf des Papstes«, fuhr Willalme fort. »Es waren zum größten Teil Ritter aus dem Norden Frankreichs, etliche unter dem Befehl von Graf Simon de Montfort. Und sie belagerten Béziers.«
Willalme erklärte Uberto, dass die Truppen von Béziers den Eroberern Widerstand geleistet hatten, aber dass die Kreuzritter schließlich den Sieg davontrugen. Daraufhin wurde die Stadt zur Plünderung freigegeben, und viele Einwohner fanden den Tod bei dem Versuch, sich oder ihr Hab und Gut zu schützen. Manche wurden einfach erschlagen, andere dagegen wurden gezwungen, über glühende Kohlen zu laufen. Schließlich wurde die Stadt in Brand gesteckt.
Die Miene des Franzosen verdüsterte sich immer mehr. »Während der Belagerung hatten sich viele in die Kirche Sainte-Marie-Madeleine geflüchtet. Männer, Frauen, Kinder, Katharer und Katholiken, alle vereint in ihrer Furcht. Ich war auch darunter, zusammen mit meiner Mutter und meiner Schwester … Mein Vater war da schon tot, durchbohrt von der Lanze eines Kreuzritters, als er uns verteidigen wollte. Als wir in der Kirche Schutz suchten, dachten wir, die Soldaten würden Mitleid zeigen und uns verschonen. Aber dem war nicht so.«
Der von den Erinnerungen aufgewühlte Schmerz war heftig, doch Willalme sprach weiter. Er erzählte, wie Abt Arnaud Amaury entschieden hatte, dass alle sterben sollten, weil es unmöglich sei, Katholiken von Ketzern zu unterscheiden: Man müsse das albigensische Ketzertum ausrotten, hatte er verkündet. Gott würde die Seinen dann schon erkennen.
»Die Soldaten drangen in die Kirche ein und brachten alle um. Nicht einmal die Kinder verschonten sie. Meine Mutter und meine Schwester wurden von der panischen Menge vor meinen Augen niedergerannt. Ich sah sie nicht mehr wieder. Nie mehr. Ich blieb durch reinen Zufall am Leben: Etwas traf mich am Kopf, und ich fiel ohnmächtig nieder. Man hielt mich für tot, und als ich Stunden später wieder erwachte, war ich nur noch von Leichen umgeben. Einen Moment lang dachte ich, ich wäre in der Hölle … Hunderte von Toten, verstehst du? Ströme von Blut … Welcher Gott konnte so ein Blutbad wollen? Ich suchte unter den Leichen, aber ich konnte meine Mutter und meine Schwester nicht entdecken, daher floh ich irgendwann. Noch heute bedaure ich es, dass ich sie nicht finden und begraben konnte … Dann hätte ich wenigstens ein Grab, an dem ich meine Familie betrauern könnte.«
Willalme schwieg, als wollte er die Erinnerung an etwas festhalten, das es nicht mehr gab. Seine Augen glänzten feucht. Er ballte die Fäuste und schaute wieder in die untergehende Sonne. »Ich verfluche Arnaud Amaury! Ich verfluche Simon de Montfort! Und Innozenz der Dritte soll in der Hölle unter seinen Brüdern, den Teufeln, schmoren!«
Uberto fand keine Worte, um seinem Mitleid Ausdruck zu verleihen. Er hätte seinem Gefährten gern einen Teil des Schmerzes abgenommen, um seine Qualen zu lindern.
Willalme schien seine Gedanken zu erraten und lächelte ihm zu, was den finsteren Ausdruck aus seinem Gesicht vertrieb. »Das Massaker geschah am Festtag der Maria Magdalena«, sagte er schließlich.
»Was hast du gemacht, nachdem du dich gerettet hattest?«
»Drei Jahre lang zog ich ziellos umher wie ein Straßenköter. Ich lebte vom
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