Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
draußen warten, während ich das Untergeschoss durchsuche?«, fragte er Uberto und versuchte, seiner Stimme Sicherheit zu verleihen.
Der Junge nahm all seinen Mut zusammen und antwortete: »Nein. Ich komme mit dir.«
So folgten sie den Holzstufen nach unten und stützten sich auf den Handlauf, um nicht zu fallen, doch bald war das nicht mehr nötig, weil das Licht immer heller wurde, je weiter sie voranschritten. Aus der Ferne warfen Kerzenflammen bizarre Schatten auf die Wände.
Wenn sie jetzt jemand von hinten angreifen würde, schoss es Uberto durch den Kopf, wären sie ihm ausgeliefert. Er musste wieder an den Angriff in Venedig denken und bemerkte, wie seine Kehle trocken wurde. Er schluckte mühsam und folgte dann doch Ignazio, der schweigend voranschritt.
Das Licht wurde heller. Es drang aus einem kleinen Türbogen am Ende der Treppe. Als sie ihn durchschritten hatten, fanden sie sich in einem weiten, von flackerndem Kerzenschein erleuchteten Raum wieder. Ein furchtbarer Gestank schlug ihnen entgegen. Uberto nahm ihn zunächst kaum wahr, sondern riss staunend die Augen auf: Dergleichen hatte er noch nie gesehen.
Mitternacht war kaum vorbei, als Dominus Puente la Reina erreichte. Er passierte mit seinem Pferd das Haupttor der Stadt und folgte dem Weg zum Marktplatz. Gemächlich ritt er über die menschenleere Calle Mayor, um das Pferd dann vor der Kathedrale zum Stehen zu bringen.
Er sah sich um.
Zwei Männer warteten schon auf ihn. Einer von ihnen kam mit gesenktem Haupt näher, nahm die Zügel seines Pferdes und sagte: »Ich bringe Brot und Rat für meinen Herrn.«
Dominus legte ihm die Hand auf die rechte Schulter. »Brot nehme ich nur von meinen Söhnen an.«
»Und das sind wir, Söhne der Macht und des heiligen Schreckens.« Der Mann sah hoch. »Slawnik erwartet Euch, mein Herr. Wir haben Befehl, Euch zu ihm zu bringen.« Er wartete auf ein Zeichen der Zustimmung, dann sagte er: »Wir haben einen neuen Hinweis auf das ›Uter Ventorum‹ erhalten.«
»Gut«, erwiderte Dominus. »Alles verläuft gemäß unseren Plänen.«
46
»Betrittst du zum ersten Mal das Laboratorium eines Alchimisten?«, fragte Ignazio.
»Ja«, erwiderte Uberto, der sich immer noch ungläubig umsah.
Der Raum wirkte deutlich geräumiger als das Erdgeschoss, aber vielleicht war das auch nur eine optische Täuschung, hervorgerufen durch das flackernde Kerzenlicht. Die Wände waren vollständig mit Regalen bedeckt, in denen Bücher und Instrumente, Ampullen und mit bunten Pulvern oder Flüssigkeiten gefüllte Gefäße lagerten, dazu Knochen und Schriftrollen.
Uberto nahm eine dickwandige Glasampulle von einem Brett. Sie enthielt eine durchsichtige Flüssigkeit und war mit einem Stöpsel aus versiegeltem Werg verschlossen. Als er sie neugierig öffnete, entströmte ihr ein beißender, ekelhafter Geruch.
Ignazio bemerkte Ubertos angewiderten Gesichtsausdruck, trat zu ihm und schnupperte an der Ampulle. »Interessant. Das ist Aqua regia , Königswasser, eine Säure, die sämtliche Metalle auflösen kann, sogar Gold«, erklärte er. Er hielt die Flüssigkeit gegen das Licht und wies den Jungen auf die orange Färbung hin. »Man erhält es, indem man Schwefelsäure, Alaun und Salpeter unter Beifügung von Salmiak vermischt. Bislang habe ich es nur bei einem Alchimisten in Neapel in Gebrauch gesehen.« Er schloss die Ampulle sorgfältig und übergab sie dann Uberto wieder. »Hier, steck sie ein. Vielleicht kann sie uns noch einmal nützlich sein, aber gib acht, dass sie nicht aufgeht.«
Uberto rieb sich die Nase, weil sie wegen der eingeatmeten Dämpfe heftig juckte. »Und was wird der Rote sagen, wenn er es bemerkt?«
»Wie sollte er das?«, entgegnete Ignazio. »Bei all dem Zeug, das er hier unten aufbewahrt …«
Uberto zögerte kurz, dann gehorchte er. Er wickelte das Gefäß in ein Stück Stoff und steckte es in seine Tasche.
Die beiden sahen sich weiter um. An der Wand gegenüber dem Eingang fiel ihnen ein Wandteppich auf, auf dem ein von zwei konzentrischen Kreisen umgebener Drache dargestellt war, der sich in den Schwanz biss. In den ersten Ring waren die sieben Planeten gestickt, in den zweiten die Sternzeichen.
In einer Ecke stand ein Ofen von ganz besonderer Form. Er sah ein wenig aus wie eine kleine Burg, dachte Uberto. Über dem Aschekasten, wo sich eine Tür des Ofens öffnete, erhob sich ein zylindrischer Turm, der von einer kleinen Kuppel aus Stein gekrönt wurde. Dort auf der Spitze war eine Kammer für
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