Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Destillierkolben und schmale Gefäße angebracht, um sie im Dampf zu erhitzen. Ignazio erklärte, dies sei ein Athanor, einer der Öfen, die Alchimisten für ihre Experimente benutzten.
Der Händler sah sich die Schriften in den Regalen an. Im Vorübergehen erkannte er das von Robert von Chester übersetzte »Liber de Compositio Alchymiae«, die »Libri mysteriorum« des Astronomen Abu Ma’schar und »De mysteriis Aegyptiorum« von Jamblichos aus Chalkis. Er entdeckte sogar das berüchtigte »Necronomicon«, das Buch der Gesetze der Toten. Der ursprüngliche Titel »Al’Azif« bezog sich auf das nächtliche Geheul der Wüstendämonen. Eine Abschrift dieses Buches war nach Konstantinopel gelangt, und nachdem es ins Griechische übersetzt worden war, hatte es das Interesse und das Missfallen vieler Gelehrter erregt. Um das Jahr 1000 herum war das »Necronomicon« auf den Index gesetzt worden, und nur wenige Exemplare waren den Flammen entgangen, darunter wohl auch das, welches sich nun im Besitz von Gothus Ruber befand.
Ignazio und Uberto gingen weiter zur Mitte des Raumes, wo ein Arbeitstisch stand, zweifelsohne das wertvollste Möbel im ganzen Zimmer. Er sah aus wie ein hohes Schreibpult aus Holz, dessen Türen reich mit inzwischen recht verblichenen Intarsien verziert waren. Oben auf der Schreibplatte konnte man im flackernden Kerzenschein zahlreiche Gefäße aus Glas und Metall erkennen, einen ovalen Spiegel, Schmelzrückstände, Päckchen von Schwefel und … einen kreuzförmigen Dolch, den jemand genau in die Mitte gerammt hatte.
Ignazio wich instinktiv zurück, die Augen geweitet vor Überraschung und Schrecken. Die Form dieser Waffe rief in ihm schlagartig die schlimmsten Erinnerungen wach. Dieser Dolch mit dem Kreuzgriff war das Symbol für all das, was sein Leben verändert und ihn zur Flucht in den Orient gezwungen hatte. Doch gleich darauf hatte er sich wieder gefangen, und vor seinem inneren Auge erschien das Bild des Mannes in Schwarz, auf den sie in Venedig in der Krypta des Markusdoms gestoßen waren. Jetzt war er sicher, dass diese bedrohliche Gestalt einen ebensolchen Dolch besessen hatte.
»Die Heilige Vehme hat uns gefunden!«, rief er aus, und die Angst ließ seine Stimme heiser klingen.
Uberto wollte gerade nach weiteren Erklärungen fragen, doch als er um den Tisch herumging, fiel sein Blick auf den Boden, und er schrie zu Tode erschrocken auf. Im Zurückweichen stolperte er über einen Schemel und fiel hin. Ignazio wollte ihm zu Hilfe eilen, aber der Junge forderte ihn nur mit bebenden Lippen auf, er solle zu Boden schauen.
Der Händler tat es, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer entsetzten Grimasse. Am Boden lag ein Mensch, dessen Glieder völlig verdreht waren. Sie hatten Gothus Ruber gefunden.
Die Leiche lag hinter dem Tisch und war somit vor den Blicken der Hereinkommenden verborgen geblieben. Das Gesicht Gothus Rubers war geschwollen und mit Blutergüssen bedeckt, als habe man ihn vor der Ermordung geschlagen. Ein Schnitt von einem Ohr zum anderen zeigte an, wie er den Tod gefunden hatte. Jemand hatte ihm Kehle und Halsschlagader durchtrennt, das hervorsprudelnde Blut hatte seine Kleider und den Fußboden beschmutzt.
»Mein armer Freund«, flüsterte Ignazio. »Man hat dich abgestochen wie ein Schwein. Und wahrscheinlich bin ich der Grund dafür.«
Er näherte sich dem Leichnam. Aus der Tiefe des Todes schienen die gläsernen Augäpfel noch das Gesicht des Mörders anzustarren. Ignazio schloss Gothus Rubers weit aufgerissene Augen und seufzte bitter. Doch gleich darauf wandte er sich wieder Uberto zu, packte ihn am Arm und schüttelte ihn, um ihn aus seiner Schockstarre zu reißen.
»Rasch, Junge! Wir dürfen hier nicht lange verweilen. Wir müssen nachsehen, ob noch eine Spur des ›Uter Ventorum‹ zu finden ist. Bestimmt wurde der Rote seinetwegen getötet.«
Uberto fuhr auf, als ob man ihn aus tiefem Schlaf geweckt hätte. Er ermannte sich und rief: »Wo soll ich suchen?«
»Überall«, erwiderte der Händler, der bereits angefangen hatte, den Raum zu durchforsten.
Während er in den Regalen suchte, fragte sich Uberto, ob er das »Uter Ventorum« überhaupt erkennen würde, falls es ihm jetzt in die Hände fiele. Jedes Mal, wenn er auf eine arabische oder griechische Schrift stieß, legte er sie vorsichtshalber Ignazio vor, der allerdings stets den Kopf schüttelte.
Irgendwann fragte er ihn, ohne seine Suche zu unterbrechen: »Was ist die Heilige Vehme?«
»Hör
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