Der häusliche Herd
entzweit!
Es war der 8. Oktober an diesem Tage. Die Schuhstepperin sollte
vormittags ausziehen. Seit acht Tagen beobachteteHerr Gourd mit steigendem Entsetzen ihren stündlich
wachsenden Leib. Dieser Bauch wird den 8. Oktober sicherlich nicht
abwarten. Die Schuhstepperin hatte den Hausbesitzer gebeten, sie
noch einige Tage länger im Hause zu behalten, damit sie daselbst
ihr Kindbett halten könne. Eine entrüstete Weigerung war die
Antwort. Jeden Augenblick kamen Wehen über sie. Verflossene Nacht
glaubte sie, daß sie niederkommen werde, allein, verlassen. Gegen
neun Uhr morgens begann sie auszuziehen. Im Hofe stand der
Straßenjunge mit seinem Karren und lud ihren dürftigen Hausrat auf.
Sie half ihm dabei und setzte sich von Zeit zu Zeit, wenn ein
heftiger Schmerz ihren Leib zusammenzog, auf die Stufen nieder, um
erschöpft auszuruhen.
Herr Gourd hatte indes nichts zu entdecken vermocht. Keinen
einzigen Mann! Man hat ihn also zum besten gehalten. Mit der Miene
unterdrückten Zornes schlich er den ganzen Vormittag umher. Octave,
der ihm begegnete, zitterte bei dem Gedanken, daß dem Hausmeister
sein Liebesverhältnis bekannt sein könne. Vielleicht war es ihm
auch bekannt; aber es hinderte ihn nicht, den jungen Mann höflich
zu grüßen, denn »was ihn nichts anging, das ging ihn nichts an« –
wie er zu sagen pflegte. Er hatte sogar heute morgen ehrfurchtsvoll
die Mütze gezogen vor der geheimnisvollen Dame, die sich aus dem
Zimmer des Herrn vom dritten Stockwerk eilig entfernte, nichts als
einen Eisenkraut-Parfüm als Spur hinter sich zurücklassend. Er
hatte auch Trublot gegrüßt und Valerie und die andere Frau
Campardon. Das sind Bürgersleute, die gehen ihn nichts an: weder
die jungen Leute, die er vor den Türen der Dienstbotenzimmer
überrascht, noch die Damen, die in anklägerischen Nachtkleidern
über die Treppen huschen. Aber was ihn anging, das ging ihn an, und
er ließ kein Auge von den ärmlichen Siebensachen der Schuhstepperin, als ob sie den
vielgesuchten Mann in einer Schublade verborgen mitführe.
Dreiviertel auf zwölf Uhr erschien endlich die Arbeiterin mit
ihrem wachsgelben Gesichte, ihrer ewigen Traurigkeit, ihrer düstern
Verlassenheit. Sie vermochte kaum zu gehen. Herr Gourd zitterte,
ehe sie nicht auf der Gasse war. In dem Augenblick, als sie ihm den
Schlüssel zurückstellte, tauchte eben Herr Duverdy im Vorraum auf.
Er zeigte eine strenge Miene unerbittlicher Moral, als der Bauch
dieser Unglücklichen an ihm vorbeikam. Beschämt und ergeben senkte
sie den Kopf und folgte dem Karren mit den nämlichen
verzweiflungsvollen Schritten, wie sie gekommen war an dem Tage,
als Herr Vabre beerdigt wurde und sie zwischen den schwarzen
Vorhängen der Toreinfahrt verschwand.
Jetzt erst konnte Herr Gourd triumphieren. Als ob dieser Bauch
alles Unangenehme des Hauses mit sich nehme, rief er dem
Hausbesitzer zu:
Da sind wir ein sauberes Stück losgeworden! Jetzt kann man
endlich aufatmen; hundert Pfund leichter fühle ich mich. In einem
Hause, das auf Anständigkeit hält, darf man keine Frauenzimmer
dulden und vor allem keine Arbeiterinnen!
Kapitel 14
Am folgenden Dienstag hielt Berta dem Octave abermals nicht
Wort. Nach der Ladensperre hatten sie eine ganz kurze
Auseinandersetzung, in der sie ihm schluchzend erklärte, er möge
sie nicht erwarten. In einer frommen Anwandlung war sie tags vorher
zur Beichte gegangen. Seit ihrer
Verheiratung hatte sie nicht gebeichtet. Als sie neulich die
schmutzigen Reden der Mägde gehört, fühlte sie sich so elend, so
traurig, so verlassen, daß sie sich wieder auf eine Stunde in die
Frömmigkeit ihrer Kinderzeit versenkte, von der Hoffnung auf
Reinigung und Seelenheil erfüllt. Sie hatte bei der Beichte viel
geweint und der Abbé Mauduit mit ihr; auf dem Rückwege hätte sie
einen wahren Abscheu vor ihrer Sünde empfunden. Octave zuckte in
ohnmächtiger Wut mit den Achseln.
Drei Tage später machte sie ihm abermals eine Zusage für den
kommenden Dienstag. Bei einem Stelldichein, das sie ihrem Liebhaber
in der Panoramen-Passage gegeben, hatte sie in einem Schaufenster
einen Schal von Chantillyspitzen gesehen; davon sprach sie
unaufhörlich mit gierig funkelnden Augen. Um die Nacktheit des
Schachers, der sich da vollzog, einigermaßen zu verdecken, sagte er
ihr am kommenden Montag lachend, daß, wenn sie ihn am Dienstag
besuche, eine Überraschung ihrer harre. Sie begriff und weinte
wieder. Nein, nein! sagte sie; jetzt werde sie erst recht
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