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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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neben Frau Juzeur
Platz genommen, während Bachelard und Gueulin ganz laut abfällige
Bemerkungen über Theophil Vabre machten, den sie einen
»Taugenichts« nannten, was ihnen viel Spaß zu machen schien. In
einem Winkel saß Herr Josserand so unauffällig und verborgen, als
ob er ein Gast sei. Er hörte eben mit Befremden eine Geschichte
über einen seiner alten Freunde, Herrn Bonneaud. Herr Bonneaud war
Chef der Rechnungsabteilung bei der Nordbahn; er hatte erst im
verflossenen Frühjahr seine Tochter verheiratet. Nun denn: der
nämliche Bonneaud hatte vor kurzem die Entdeckung gemacht, daß sein
Schwiegersohn, sonst ein sehr annehmbarer Mensch, ein ehemaliger
Clown sei, der sich zehn Jahre lang von einer Kunstreiterin habe
aushalten lassen.
    Still, still! flüsterte man jetzt auf allen Seiten.
    Berta hatte das Piano geöffnet.
    Mein Gott, erläuterte Frau Josserand, es ist das ein
anspruchsloses Stück, eine einfache Träumerei … Herr Mouret,
Sie lieben die Musik, denke ich. Treten Sie näher … Meine
Tochter spielt das Stück recht hübsch … nur als Dilettantin,
aber mit Gemüt, mit sehr viel Gemüt.
    Octave stand jetzt in der Nähe des Piano. Wenn man die
Zuvorkommenheit der Frau Josserand für ihn sah, mußte man glauben,
daß Berta für ihn allein spiele.
    » 
Am Ufer der Oise
« heißt das
Stück, wiederholte die Mutter. Es ist sehr hübsch … Vorwärts
mein Schatz! … Nur mutig! Herr Mouret wird Nachsicht üben.
    Das Mädchen begann ohne jede Verwirrung oder Erregtheit zu
spielen. Überdies ließ ihre Mutter sie nicht aus den Augen; sie
machte die strenge Miene eines Sergeanten, der seine Leute drillt
und entschlossen ist, jeden Fehler mit einer Maulschelle zu
bestrafen. Ihr Schmerz war nur der, daß das Instrument, durch
fünfzehn Jahre täglicher Skalen schwindsüchtig gemacht, nicht die
Tonfülle des großen Flügels der Duverdy hatte, auch meinte sie, daß
ihre Tochter niemals stark genug spiele.
    Obgleich eine sehr aufmerksame und beifällige Miene machend,
hörte Octave schon beim zehnten Takt nicht mehr zu. Er betrachtete
die Zuhörer, die halb zerstreute Aufmerksamkeit der Herren, das
geheuchelte Entzücken der Frauen, die ganze Abspannung dieser sich
selbst wiedergegebenen Leute, die die Sorge um jede verlorene
Stunde plagte, deren Schatten auf ihren gelangweilten Gesichtern
lagerte. Die Mütter dachten, mit offenem Munde und aufeinander
gepreßten Zähnen in ein unbewußtes Sichgehenlassen versunken,
sichtlich nur an die Verheiratung ihrer Töchter; das war die Wut in
diesem Salon: ein wahnsinniger Hunger nach Schwiegersöhnen
verzehrte diese Spießbürgerinnen bei den asthmatischen Klängen des
Piano. Die Mädchen ermüdeten allgemach, vergaßen, sich gerade zu
halten, und schliefen mit eingezogenen Köpfen. Octave, der für
junge Mädchen keine Neigung hatte, interessierte sich mehr für Frau
Valerie; sie war entschieden häßlich in ihrem Kleide von gelber
Seide, das mit schwarzem Samt besetzt war; dennoch kehrte er
unruhig, angelockt, immer wieder zu ihr zurück, während sie, sich
allein wähnend, ohne Zweifel unangenehm
berührt durch diese übel klingende Musik, das gezwungene Lächeln
einer Kranken zeigte.
    Da trat ein störender Zwischenfall ein. Man hörte läuten, und
ein Herr trat ziemlich geräuschvoll ein.
    Aber Doktor! rief Frau Josserand zornig.
    Der Doktor Juillerat machte eine Gebärde der Entschuldigung und
blieb stehen, ohne auch nur die Türe zu schließen. Berta spielte
eben eine kleine musikalische Phrase in verlangsamtem Tempo und
verklingend; die Gesellschaft ließ ein beifälliges Gemurmel hören.
Ah, herrlich! köstlich! Frau Juzeur schwamm in Wonne, als ob jemand
sie kitzele. Hortense, die neben ihrer Schwester stand, um die
Blätter umzuwenden, behielt trotz der perlenden Musik ihr
gleichgültiges, verdrießliches Aussehen und lauschte auf die Glocke
des Vorzimmers. Als der Doktor eintrat, machte sie eine so heftige
Gebärde der Enttäuschung, daß sie beim Umwenden ein Notenblatt
zerriß. Plötzlich begann das Instrument unter den schwachen Fingern
Berta's zu zittern, die wie mit Hämmern einhieb; es war der Schluß
der Réverie: ein betäubendes Getöse von stürmischen Akkorden.
    Es entstand eine Pause. Man erwachte allmählich. Ist die
Darbietung zu Ende? fragten stumm die Gesichter. Dann brachen die
Komplimente los. Reizend! ein vornehmes Talent!
    Das Fräulein ist wahrlich ein Talent ersten Ranges! sagte
Octave, in seinen Betrachtungen gestört.

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