Der Hase mit den Bernsteinaugen
entgegenkommenderweise ausgegangen und habe das Tor zur Ringstraße weit offen stehen lassen.
Sechs tadellos gekleidete Gestapo-Beamte marschieren ins Haus.
Anfangs sind sie noch recht höflich. Sie hätten Befehl, die Wohnung zu durchsuchen, da Grund zu der Annahme bestehe, der Jude Ephrussi habe die Schuschnigg-Kampagne unterstützt.
Haussuchung. Haussuchung bedeutet: Jede Schublade wird herausgerissen, der Inhalt jedes Schranks herausgezerrt, jedes Schmuckstück wird unter die Lupe genommen. Wissen sie, wie viele Sachen in diesem Haus sind, wie viele Schubladen in wie vielen Räumen? Die Gestapo-Beamten gehen methodisch vor. Sie haben keine Eile. Sie sind keine Wilden. Die Schubladen in den kleinen Tischen im Salon werden durchwühlt, Papier fliegt herum. Das Arbeitszimmer wird auseinandergenommen. Die Zettelkataloge der Inkunabeln werden auf Hinweise durchblättert, Briefe gesichtet. Jede Lade im italienischen Kabinettschrank wird untersucht. Bücher werden aus den Regalen in der Bibliothek gezogen, durchgeblättert, fallen gelassen. Die Männer greifen tief hinein in den Leinenschrank. Bilder werden von der Wand genommen, die Keilrahmen geprüft. Die Wandteppiche im Esszimmer, hinter denen sich die Kinder zu verstecken pflegten, werden von der Wand gerissen.
Nachdem sie die vierundzwanzig Räume in der Familienwohnung, der Küche und im Dienerquartier durchsucht haben, verlangen die Gestapo-Leute die Schlüssel zum Safe, zum Silberzimmer und zum Porzellanschrank, wo Service für Service die Teller gestapelt stehen. Sie benötigen den Schlüssel zum Abstellraum in der Ecke, wo die Hutschachteln, die Koffer, die Kisten mit den Spielsachen der Kinder, den Kinderbüchern, den alten Andrew-Lang-Märchenbüchern aufbewahrt werden. Sie brauchen die Schlüssel für den Kabinettschrank in Viktors Ankleidezimmer, wo er seine Briefe von Emmy, von seinem Vater, von seinem alten Hauslehrer Herrn Wessel aufbewahrt, dem guten Preußen, dem Mann, der ihm etwas über deutsche Werte beibrachte, der ihm Schiller zu lesen gab. Sie nehmen Viktors Schlüssel für sein Büro in der Bank.
Und alle diese Dinge, eine Welt an Dingen - eine familiäre Geographie, die sich von Odessa, von Ferien in St. Petersburg, in der Schweiz, in Südfrankreich, Paris, Kövecses, London, überallhin erstreckt - wird unter die Lupe genommen und notiert. Jedes Objekt, jeder Vorfall ist verdächtig. Es ist eine Prozedur, die jede jüdische Familie in Wien durchmacht. Am Ende dieser langen Stunden findet eine kursorische Besprechung statt, und der Jude Viktor Ephrussi wird beschuldigt, fünftausend Schilling zur Schuschnigg-Propaganda beigetragen zu haben; das macht ihn zum Staatsfeind. Rudolf und er werden verhaftet und mitgenommen.
Emmy werden zwei Zimmer im hinteren Trakt des Hauses zugestanden. Ich gehe in diese Zimmer. Sie sind klein und hoch und sehr finster, ein trübes Fenster über der Tür lässt ein wenig Licht vom Hof her einfallen. Die Haupttreppe darf sie nicht benutzen, ihre früheren Räume nicht betreten. Sie hat keine Bediensteten. Im Moment hat sie nur ihre Kleider.
Ich weiß nicht, wo man Viktor und Rudolf hinbrachte. Ich kann keine Aufzeichnungen finden. Elisabeth oder Iggie habe ich nie gefragt.
Möglicherweise wurden sie ins Hotel Metropol gebracht, das als Hauptquartier der Gestapo beschlagnahmt worden war. Es gibt noch viele andere Gefängnisse für diese Flut an Juden. Sie werden natürlich geschlagen; aber man verbietet ihnen auch, sich zu rasieren oder zu waschen, damit sie noch verkommener aussehen. Das geschieht, weil es wichtig ist, den Affront aus der Welt zu schaffen, dass Juden nicht wie Juden aussehen. Wenn man ihnen die Ehrbarkeit nimmt, die Uhrkette, oder die Schuhe, oder den Gürtel, so dass sie stolpern, während sie die Hosen mit einer Hand festhalten, kann man sie ins Schtetl zurücktreiben, auf ihren eigentlichen Charakter reduzieren - unstet, unrasiert, gekrümmt, alle Habseligkeiten auf dem Rücken. Am Ende sollen sie aussehen wie eine Karikatur aus dem Stürmer, Streichers Schmierblättchen, das jetzt auf den Straßen Wiens verkauft wird. Man nimmt ihnen die Lesebrillen weg.
Drei Tage lang werden Vater und Sohn irgendwo in Wien festgehalten. Die Gestapo braucht eine Unterschrift, man legt ihnen ein Formular vor, hier unterschreiben, oder Sie und Ihr Sohn wandern nach Dachau. Mit seiner Unterschrift gibt Viktor alles her, das Palais und was darin ist, seine weiteren Vermögenswerte in Wien, alles, was sich
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