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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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der die Sammlungen zusammengetragen hat, hält aber fest, dreißig der Ephrussi-Bilder seien »museumswürdig«. Drei Alte Meister werden umgehend der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums übergeben, sechs der Österreichischen Galerie, ein Alter Meister wird an einen Händler verkauft, zwei Terrakotten und drei Gemälde gehen an einen Sammler, zehn an einen anderen Händler am Michaelerplatz, für loooo Schilling. Und so weiter und so fort.
    Zahlreiche künstlerische und qualitätvolle Stücke, die für Bürozwecke ungeeignet seien, wie es heißt, gehen an das Kunsthistorische und das Naturhistorische Museum. Alle anderen »ungeeigneten« Objekte kommen ins Mobiliendepot, ein riesiges Lager, aus dem andere Organisationen sich bedienen können.
    Die allerbesten Bilder in Wien werden fotografiert und die Fotos in zehn ledergebundene Alben geklebt; diese Alben kommen nach Berlin, wo Hitler sie sich ansehen soll.
    Und in einem Brief von (Initialen unleserlich), »betreff: RK19694 B«, aus Berlin, 13. Oktober 1938, wird angemerkt, dass der Reichsführer SS mit Brief vom 10. August 1938, eingegangen am 26. September 1938, sieben Inventarlisten über Besitztümer und Kunstgegenstände, die in Österreich beschlagnahmt worden seien, übergeben habe, dazu zehn Alben mit Fotografien und einen Katalog; Inventarlisten und Bescheinigungen seien beigeschlossen. Außer dem »Schloss inklusive Grundstücke und Wälder des Juden Rudolf Gutmann« und »sieben Gütern aus dem Familienbesitz des Hauses Habsburg-Lothringen sowie vier Villen und einem Schloss von Otto v. Habsburg« seien auch Kunstgegenstände in Wien beschlagnahmt worden, darunter aus dem Besitz von »Viktor v. Ephrussi, No. 57, 71, 81-87, 116-118 und 120-122«. Die Beschlagnahme sei zugunsten verschiedener Stellen erfolgt: Reichsführer SS, NSDAP, Wehrmacht, Lebensborn und andere.
    Während Hitler sich die Alben ansieht und aussucht, was er haben will, während diese Angelegenheiten besprochen werden und man sich über den Unterschied zwischen Konfiskation und Beschlagnahme den Kopf zerbricht, verliert Viktor seine Bibliothek: seine Bücher zur Geschichte, die griechischen und lateinischen Dichter, sein Ovid und Vergil, der Tacitus, die Reihen englischer, deutscher und französischer Romane, die riesige ledergebundene Dante-Ausgabe mit den Illustrationen von Dore, vor denen die Kinder sich so gegruselt haben, die Wörterbücher und Atlanten, Charles’ Bücher aus Paris, die Inkunabeln. Bücher, die er in Odessa und Wien gekauft hat, die seine Händler aus London und Zürich geschickt haben, sein ganzes Lektüreleben, werden von den Regalen genommen, sortiert und in hölzerne Kisten verpackt, und dann werden die Kisten zugenagelt, die Treppe hinunter in den Hof getragen und auf einen Lastwagen gehievt. Irgendjemand - die Initialen sind unleserlich - kritzelt eine Unterschrift auf ein Dokument, dann knattert der Lastwagen los, fährt an, durch das Eichentor auf den Ring und verschwindet.
    Es gibt eine eigene Organisation, die in jüdischem Besitz befindliche Büchersammlungen ausfindig macht. Als ich den Mitgliedsausweis für den Wiener Club von »Präsident Viktor v. Ephrussi« durchgehe, fällt mir auf, dass die Bibliotheken von elf seiner Freunde beschlagnahmt wurden.
    Einige Kisten kommen in die Nationalbibliothek. Hier sehen sich Bibliothekare und Fachleute die Bücher an, dann werden sie aufgeteilt. Wie die Kunsthistoriker haben auch die Bibliothekare und Fachleute in diesen Tagen viel zu tun. Manche Bücher bleiben in Wien, andere gehen nach Berlin, wieder andere sind für die in Linz geplante »Führerbibliothek« oder für Hitlers Privatbibliothek bestimmt. Und wieder andere werden für das Amt Rosenberg ausgesucht. Alfred Rosenberg, der frühe Ideologe des Nazismus, ist eine Größe im Reich. »Das Wesen der heutigen Weltrevolution liegt im Erwachen der rassischen Typen«, schwadronierte er in seinen Büchern; für Deutschland werde die Judenfrage erst gelöst sein, wenn der letzte Jude Großdeutschland verlassen habe. Diese Bücher, die an ihrer eigenen Rhetorik zu ersticken drohten, verkauften sich zu Hunderttausenden und standen in ihrer Beliebtheit nur »Mein Kampf« nach. Zu den Aufgaben des Amtes Rosenberg gehörte es, Forschungsmaterial aus »herrenlosem jüdischem Besitz« in Frankreich, Belgien und Holland herbeizuschaffen.
    Solches geschieht in ganz Wien. Manchmal werden Juden gezwungen, Sachen für ein Spottgeld zu verkaufen, um das Geld

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