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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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nicht »haftbar gemacht« werden.
    Als am 15. Mai 1946 die Republik Österreich ein Gesetz erließ, aufgrund dessen alle Rechtsgeschäfte null und nichtig seien, die auf Grundlage der diskriminierenden Nazi-Ideologie erlassen worden waren, schien es, dass nun ein Weg offen stand. Aber das Gesetz war mysteriöserweise nicht durchführbar. Wenn jemandes Besitz aufgrund einer erzwungenen Arisierung verkauft worden war, konnte es geschehen, dass man ihn aufforderte, ihn zurückzukaufen. Wenn er ein Kunstwerk zurückerhielt, das als bedeutend für das österreichische Kulturerbe galt, wurde die Ausfuhr untersagt. Wenn man allerdings Werke einem Museum stiftete, erhielt man eventuell eine Genehmigung für andere, minder wichtige Kunstgegenstände.
    Bei der Entscheidungsfindung, was zurückgegeben werden sollte und was nicht, stützten sich die Regierungsbehörden auf die verfügbaren Dokumente mit der meisten Aussagekraft. Das waren jene der für ihre Gründlichkeit bekannten Gestapo.
    Ein Akt über die Aneignung von Viktors Büchersammlung hielt fest, der Gestapo sei eine Bibliothek übergeben worden, aber es seien keine Aufzeichnungen über deren vollständigen Inhalt vorhanden. Trotzdem könnten es nur wenige Werke gewesen sein, angesichts dessen, dass die Übernahmebestätigung den Inhalt zweier großer und zweier kleiner Kisten sowie ein Drehregal erwähnt habe.
    Also werden am 31. März 1948 von der Österreichischen Nationalbibliothek Bücher an die Erben von Viktor Ephrussi zurückerstattet; 191 Exemplare, ein paar Regale voll, ein paar Meter von den Hunderten in seinem Zimmer.
    Und so geht das weiter. Wo sind die Belege von Herrn Ephrussi? Sogar nach seinem Tod noch wird er zur Verantwortung gezogen. Viktors Leben mit Büchern ist verloren, weil es ein Dokument mit unleserlichen Initialen gibt.
    Eine andere Akte befasst sich mit der Aneignung der Kunstsammlung. Sie enthält einen Brief von einem Museumsdirektor an einen anderen. Sie haben ein von der Gestapo angefertigtes Inventar und sollen nun eruieren, was mit den Bildern des »Bankiers Ephrussi, Wien I., Luegerring 14« geschehen ist. »Es handelt sich bei diesem Bestand nicht um eine künstlerisch wertvolle Sammlung, sondern lediglich um den Bilderschmuck der Wohnung eines wohlhabenden Mannes, der nach dem ganzen Geschmack etwa in den siebziger Jahren zusammengebracht sein dürfte.« Es gibt keine Quittungen, doch »nicht verkauft wurden lediglich die absolut nicht anbringlichen Bilder«. Impliziert wird, man könne eigentlich kaum etwas unternehmen.
    Beim Lesen dieser Briefe fühle ich eine idiotische Wut. Es geht ja nicht darum, dass diese Kunsthistoriker den Geschmack des »Bankiers Ephrussi« und seines Wandschmucks nicht teilen, wenn auch die Wendung dem Ausdruck »der Jude Ephrussi«, wie ihn die Gestapo gebrauchte, unangenehm ähnelt. Es ist die Art, wie die Archive herhalten, um einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen: Es gibt keine Quittung für dieses, jene Unterschrift können wir nicht lesen. Erst neun Jahre war es her, denke ich, und diese Transaktionen haben eure Kollegen durchgeführt. Wien ist eine kleine Stadt. Wie viele Anrufe hätte es gebraucht, um sich Klarheit zu verschaffen?
    Die Kindheit meines Vaters wurde interpunktiert von den Briefen Elisabeths, geschrieben vor dem Hintergrund schwindender Erwartungen, sie würden jemals das Familienvermögen zurückerhalten. Teilweise schrieb sie aus Zorn über die Art und Weise, mit der mittels pseudolegaler Maßnahmen Antragsteller abgeschreckt werden sollten. Immerhin war sie Anwältin. Der Hauptgrund aber war, dass alle vier Geschwister in finanziell bedrängter Lage waren, und sie lebte als Einzige in Europa.
    Wann immer sie ein Bild zurückerhielten, wurde es verkauft und der Erlös aufgeteilt. Die Gobelins bekamen sie 1949 zurück, mit dem Geld wurden die Schulgebühren beglichen. Fünf Jahre nach dem Krieg erhielt Elisabeth das Palais Ephrussi zurück. Es war keine gute Zeit, um ein kriegsbeschädigtes Palais in einer von vier Mächten besetzten Stadt zu verkaufen, der Erlös betrug lediglich 30000 Dollar. Danach gab Elisabeth auf.
    Herr Steinhäusser, Viktors ehemaliger Gesellschafter, der Vizepräsident des Verbandes österreichischer Banken und Bankiers geworden war, wurde 1956 gefragt, ob er etwas über die Geschichte des Bankhauses Ephrussi wisse, das er arisiert hatte. In diesem Jahr sollte das hundertjährige Jubiläum begangen werden. »Lt. Hr. Edl«, notierte er,

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