Der Hase mit den Bernsteinaugen
entlang und spähen hinunter, so dass ich es sehen kann: Ja, da gibt es noch versteckte Lichthöfe. Er holt die Pläne und zeigt mir, wie das Haus mit den Nachbargebäuden in Verbindung steht und wie man durch die unterirdischen Gänge Futter und Stroh für die Pferde in die Keller schaffen konnte, ohne den Vordereingang benutzen zu müssen.
Dieses ganze massive Haus, intarsiert und überfangen und gegipst und verputzt, Marmor und Gold, war leicht wie ein Puppentheater, eine Abfolge versteckter Räume hinter einer Fassade. Potemkinsch. Diese Marmorwand besteht aus Marmorimitat, Latten und Mörtel.
Es ist ein Haus weggeräumter Kinderspielsachen, geheimer Spiele hinter den Brüstungen über dem Palais, Versteckenspielen in den Tunneln und Kellern, Geheimfächer in Schreibtischen mit Liebesbriefen an Emmy. Doch es war auch ein Haus der unsichtbaren Menschen und unbekannten Leben. Essen, das aus verborgenen Küchen kommt, Wäsche, die in verborgene Waschküchen entschwindet. Menschen schlafen in stickigen Räumen zwischen den Etagen.
Es war ein Ort, wo man kaschieren konnte, woher man kam. Es war ein Ort, um Dinge zu verstecken.
Ich habe meine Reise mit meinem Ordner voller Familienbriefe begonnen, einer Art Lageskizze. Mehr als ein Jahr ist vergangen, und ich finde immer wieder verborgene Dinge. Nicht nur Vergessenes: die Listen der Gestapo, Tagebücher, Zeitschriften, Romane, Gedichte, Zeitungsausschnitte. Testamente und Frachtpapiere. Befragungen von Bankiers. Die mitgehörten Kommentare in einem Pariser Hinterzimmer, die Stoffbahnen, aus denen um die Jahrhundertwende Kleider für die Cousinen geschneidert wurden. Die Bilder und die Möbel. Ich finde Listen, wer vor hundert Jahren zu einem Fest kam.
Ich weiß zu viel über die Spuren meiner privilegierten Familie, aber über Anna kann ich nichts mehr herausfinden.
Über sie ist nichts geschrieben worden, sie wurde nicht in Geschichten aufgesplittert. Emmy hat ihr in ihrem Testament kein Geld hinterlassen: Es existiert kein Testament. Anna hat keine Spuren in den Auftragsbüchern der Händler oder Schneider hinterlassen.
Ich fühle mich gezwungen, weiterzusuchen. In Bibliotheken stolpere ich über Hinweise, die weiterführen, auf Nebengeleise. Ich sehe nach, um ein Faktum zu überprüfen - von wann stammt der gelbe Teppich aus Charles’ Salon, Näheres über den Maler, der die Deckenfresken im Palais Ephrussi geschaffen hat -, als mir eine Fußnote und dann eine Anmerkung im Anhang auffällt. Mit stockendem Atem sehe ich, dass Louises Haus in der Rue Bassano, gegenüber von Jules’ und Fannys Haus, etwas oberhalb von Charles’ letzter Wohnung, goldfarbener Stein und Schnörkel, den Nazis als eines ihrer Pariser Anhaltezentren diente. Es war eines der drei Nebenlager des Konzentrationslagers Drancy, wo j üdische Insassen Möbel und Obj ekte, die Rosenbergs Amt für die Funktionäre des Reichs gestohlen hatte, sortieren, reinigen und reparieren mussten.
Und dann etwas Erschreckendes: eine Anmerkung in Klammern, dass das Mädchen im blauen Kleid auf Renoirs Doppelbildnis der Töchter von Louise Cahen d’Anvers - der Auftrag, um den sich Charles so endlos und eifrig bemüht hatte, um Renoir eine Verdienstmöglichkeit zu verschaffen - deportiert wurde und in Auschwitz gestorben ist. Ich lese, dass Fanny und Theodore Reinachs Sohn Leon und seine Frau Beatrice Camondo und ihre zwei Kinder deportiert wurden. Die Familie starb 1944 in Auschwitz.
All die alten Verleumdungen, die giftigen Ausfälle gegen die jüdischen Familien auf dem Goldhügel, sie trugen in Paris spät und auf grauenhafte Weise Frucht.
Hier, in diesem Haus, fühle ich mich auf dem falschen Fuß erwischt. Dass die Netsuke in Annas Tasche, in ihrer Matratze überlebt haben, ist ein Affront. Ich kann es nicht ertragen, dass daraus etwas Symbolisches wird. Warum sollten sie den Krieg in einem Versteck überlebt haben, wo es so vielen versteckten Menschen nicht gelungen ist? Ich kann Menschen, Orte und Dinge nicht mehr zusammenfügen. Diese Geschichten machen mir zu schaffen.
Und es gibt Dinge, nach denen ich suche, seit ich die Geschichte vor beinahe dreißig Jahren hörte, als ich Iggie in Japan kennen lernte. Es ist ein Leerraum um Anna, wie um die Figur in einem Fresko. Sie war keine Jüdin. Sie hatte seit deren Hochzeit für Emmy gearbeitet. »Sie war immer da«, pflegte Iggie zu sagen.
1945 gab sie Elisabeth die Netsuke, und Elisabeth legte die Khakifrucht und den elfenbeinernen Hirsch und
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