Der Hase mit den Bernsteinaugen
hat, nichts als Mäuse. Neben diesen berufsmäßigen Künstlern gab es in diesem so kunstfertigen Volk jene, die aus Liebhaberei Netsuke schufen, denen es Vergnügen bereitete, für sich selbst kleine Meisterwerke herzustellen. Eines Tages ging M. Philippe Sichel auf einen Japaner zu, der auf seiner Schwelle saß und ein Netsuke schnitzte, das beinahe vollendet war. Mr. Sichel fragte ihn, ob er es verkaufen wolle, wenn es fertig sei. Der Japaner fing zu lachen an und sagte ihm schließlich, das werde noch etwa achtzehn Monate dauern; dann zeigte er ihm ein anderes Netsuke, das an seinem Gürtel hing, und meinte, das habe ihn einige Jahre Arbeit gekostet. Die beiden kamen ins Gespräch, und der Künstler aus Liebhaberei gestand M. Sichel, >dass er nicht jeden Atemzug so arbeite … dass er dazu in der Stimmung sein müsse … an bestimmten Tagen, wenn er ein, zwei Pfeifen geraucht habe, wenn er sich fröhlich und ausgeruht fühle<, und ließ ihn schließlich wissen, dass er für diese Arbeit stundenlange Inspiration benötige.«
Diese Nippes aus Elfenbein oder Lack oder Perlmutt schienen alle auszudrücken, dass die japanischen Handwerker die Phantasie von bi-joux-joujoux lilliputien hätten, Leuten, die entzückende winzige Sächelchen herstellten. Dass die Japaner klein waren und kleine Dinge schufen, war in Paris eine Binsenweisheit. Diese Vorstellung vom Miniaturhaften galt oft als der Grund, warum es der japanischen Kunst an hohen Zielsetzungen fehle. Die Japaner seien brillant, wenn es gelte, mittels mühseliger Prozeduren rasch aufflackerndes Gefühl sichtbar zu machen, doch wo grandiosere Empfindungen darzustellen seien, Tragik oder Ehrfurcht, versagten sie. Deshalb hätten sie auch kein Parthenon, keinen Rembrandt.
Ihre Sache war das Alltagsleben. Und Emotion. Diese Emotionen hatten Kipling bezaubert, als er bei seinen Reisen in Japan 1889 zum ersten Mal Netsuke zu Gesicht bekam. In einem seiner Briefe aus Japan schreibt er von »einem Laden voller Bruchstücke des alten Japan … Der Professor schwadroniert von den Kästchen aus altem Gold und Elfenbein, besetzt mit Jade, Lapislazuli, Achat, Perlmutt und Karneol, für mich aber sind die Knöpfe und Netsuke auf Watte, die man herausnehmen, mit denen man spielen kann, begehrenswerter als alle Wunderdinge mit ihren fünf Juwelen. Leider ist ein hauchdünn hingekratztes japanisches Schriftzeichen der einzige Hinweis auf den Namen des Künstlers, und so kann ich nicht sagen, wer den alten Mann, der sich vor einem Tintenfisch so schrecklich geniert, erfunden und in cremefarbenem Elfenbein ausgeführt hat; den Priester, der dem Soldaten befohlen hat, ein Reh hochzuheben, und nun lacht, weil das Bruststück ihm zukommt und die Last seinem Begleiter; oder die dürre, magere Schlange, die sich auf einem kieferlosen, von verdorbenen Erinnerungen gefleckten Schädel höhnisch zusammenringelt; oder den Rabelaisischen, auf dem Kopf stehenden Dachs, der einen erröten lässt, obwohl er bloß zwei Zentimeter lang ist; oder den fetten Jungen, der auf seinen kleinen Bruder einschlägt; oder das Kaninchen, das sich eben einen Scherz erlaubt hat, oder - aber es gab eine Menge dieser Andeutungen, geboren aus jeder Art von Heiterkeit, Verachtung und Erfahrung, die das Herz des Menschen bewegt; und mit dieser Hand, die ein halbes Dutzend in der Handfläche hielt, grüßte ich den Schatten des toten Schnitzers! Er ist zur Ruhe eingegangen, doch er hat in Elfenbein drei, vier Wirkungen herausgearbeitet, denen ich in kalter Schrift nachjage.«
Und die Japaner waren gut in Erotika. Solchen wurde mit besonderer Verve nachgestellt: Goncourt erwähnte die »debauches«, die Lustmolche, die sie bei Sichel kauften. Degas und Manet stöberten shunga auf, Drucke von akrobatischen Stellungen beim Geschlechtsverkehr oder bizarren Begegnungen zwischen Kurtisanen und Phantasiewesen. Tintenfische waren beliebt, da ihre geschmeidigen Fangarme erfindungsreiche Möglichkeiten boten. Goncourt berichtet, er habe eben »ein Album mit japanischen Obszönitäten erworben … Sie ergötzen, amüsieren mich, betören mein Auge … Die Kraft der Striche, das Ungeahnte der Vereinigungen, die Anordnung der Accessoires, das Kapriziöse in Stellungen und Kleidung, die … pittoreske Beschaffenheit der Genitalien.« Auch erotische Netsuke waren bei Pariser Sammlern hochbegehrt. Zum Standard gehörten zahllose Kraken, die nackte Mädchen umschlingen, Affen, die sehr große und phallische Pilze tragen,
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