Der Hase mit den Bernsteinaugen
Seine Onkel kauften Schlösser und ließen in Longchamps Rennpferde in den Ephrussi-Farben laufen, blau mit gelben Tupfen. Die Netsuke müssen wirklich sehr teuer gewesen sein, doch Charles konnte sich eine solche Extravaganz leisten, denn sein Vermögen wuchs wie das seiner Familie Jahr für Jahr.
Es gibt Dinge, die ich nicht wissen kann. Aber ich weiß, dass Charles eine schwarze Vitrine gekauft hat, um die Netsuke darin aufzubewahren, poliertes Holz, das wie Lack wirkte, höher als er, über zwei Meter. Man konnte durch die Glastür vorne und durch Glasscheiben an den Seiten hineinsehen. Ein Spiegel an der Rückseite ließ die Netsuke in Unendlichkeiten des Sammeins verschwimmen. Sie lagen alle auf grünem Samt. Netsuke besitzen viele subtile Farbnuancen, alle Tönungen von Elfenbein, von Horn und Buchsbaumholz: cremefarben, wachsgelb, nussbraun, golden, alles auf diesem Feld aus tiefem, dunklem Grün.
Sie liegt nun vor mir, Charles’ Sammlung in der Sammlung.
Charles legt die Netsuke auf den grünen Samt in der dunklen Vitrine mit der verspiegelten Rückseite, ihren ersten Ruheplatz in dieser Geschichte, nahe bei den Lackschatullen, nahe bei den aus Italien mitgebrachten prachtvollen Wandbehängen, nahe beim goldenen Teppich.
Ich würde gerne wissen, ob er es aushielt, nicht auf den Treppenabsatz zu gehen und dann nach links, um seinem Bruder Ignaz von der neuen Anschaffung zu erzählen.
Netsuke können nicht ungeschützt in einem Salon oder Studierzimmer herumliegen. Sie gehen verloren, verstauben, werden zerkratzt. Sie brauchen einen Ort, wo sie ruhen können, am besten in Gesellschaftanderer Kuriositäten. Hier kommen Vitrinen ins Spiel. Und in dieser Reise zu den Netsuke beschäftigtenmichVitrinen, verglaste Ausstellungsschränke immer mehr.
In Louises Salon kamen sie mir immer wieder unter. Ich hatte in herrschaftlichen Häusern aus der Belle Epoque schön erhaltene Exemplare gesehen, in Charles’Ausstellungsberichten in der Gazette davon gelesen, dazu Beschreibungen in Rothschild-Inventaren. Und nun, da Charles seine eigene hat, wird mir klar, dass sie zum Schauspiel des Salonlebens gehören, nicht nur zum Mobiliar. Ein Sammlerfreund von Charles wird beschrieben, wie er japanische Objekte in eine Vitrine legt, wie ein Maler, der auf der Leinwand einen Pinselstrich anbringt. Die Harmonie ist vollkommen, die Finesse exquisit.
Vitrinen sind dazu da, damit man Objekte ansehen, aber nicht anfassen kann: Sie umrahmen Dinge, halten sie auf Entfernung, locken durch Abstand.
Das habe ich, nun wird es mir klar, an Vitrinen missverstanden. Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens als Töpfer versuchte ich mit den besten Absichten, Gegenstände aus den Glaskästen zu holen, in die man in Galerien und Museen meine Gefäße oft plazierte. Sie sterben hinter Glas, sagte ich, in diesen Luftschleusen. Vitrinen sind eine Art Särge: Die Gegenstände müssen herausgenommen werden, sie müssen sich abseits der formalen Aufstellung bewähren, befreit werden. »Raus aus dem Salon, rein in die Küche!«, schrieb ich in einer Art Manifest. Es stand zu viel im Weg. Es war trop de verre, zu viel Glas, wie ein großer Architekt über das üppig verglaste Haus eines modernistischen Konkurrenten meinte.
Doch die Vitrine ist - anders als der Museumsschrank - dazu da, aufgeschlossen zu werden. Und diese geöffnete Glastür und der Moment des Schauens, des Auswählens, des Hineinlangens und Ergreifens ist ein Moment der Verführung, eine elektrisierende Begegnung zwischen Hand und Objekt.
Charles’ Freund Cernuschi, der straßenabwärts beim Eingang zum Pare Monceau lebte, besaß eine große Sammlung japanischer Kunst, an schlichten weißen Wänden arrangiert. Ein Kritiker bemerkte, die Objekte sähen unglücklich aus, als wären sie im Louvre. Japanische Kunst als Kunst zu präsentieren machte sie problematisch, übermäßig seriös. Aber Charles’ Salon weiter oben, ein Ort für ungewöhnliche Begegnungen zwischen alten italienischen und neuen japanischen Gegenständen, ist kein Museum. Charles’ Vitrine ist eine Schwelle.
Und diese Netsuke passen vollendet in Charles’ Salonleben. Die goldlockige Louise, die ihre Vitrine voll japanischer Sachen öffnet, darin herumfischt, Gegenstände herausnimmt, um sie anzusehen und zu betasten, zu liebkosen, zeigt, dass japanische Dinge für abschweifende Konversation, für Zerstreuung gemacht sind. Diese Netsuke, so denke ich, fügen Charles’ Lebensart etwas ganz Eigentümliches
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