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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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hinzu. Sie sind die ersten Objekte, die eine Beziehung zum Alltagsleben haben, wenn auch zu einem exotischen Alltagsleben. Sie sind natürlich wundervoll und höchst sinnlich, aber nicht fürstlich wie sein Medici-Bett oder seine Lackarbeiten aus der Zeit Marie Antoinettes. Sie sind da, um angefasst zu werden.
    Vor allem bringen sie einen auf viele verschiedene Arten zum Lachen. Sie sind witzig und frech und von durchtriebener Komik. Und nun, da ich endlich die Netsuke die geschwungene Treppe hinauf und in Charles’ Salon im honigfarbenen Hotel gebracht habe, entdecke ich, dass ich erleichtert bin: Der Mann, den alle so schätzten, hatte genug Humor, um sie zu genießen. Ich muss ihn nicht bloß bewundern. Ich darf ihn auch mögen.
     
    Der gelbe Lehnstuhl
     
    Die Netsuke - mein Tiger, mein Hase, meine Khakifrucht - sind in Charles’ Studierzimmer untergebracht, wo er endlich sein Buch über Dürer fertiggestellt hat. Es ist ein Raum, der in einem atemlosen Brief des jungen Dichters Jules Laforgue an Charles Gestalt gewinnt:
    »Jede Zeile in Ihrem schönen Buch erweckte so viele Erinnerungen! Besonders die allein in Ihrem Zimmer bei der Arbeit verbrachten Stunden, wo der Farbton eines gelben Lehnstuhls aufleuchtet! Und die Impressionisten! Zwei Fächer von Pissarro, in akribischen kleinen Pinselstrichen zusammengefügt. Die Sisleys, die Seine mit den Telegraphendrähten und dem Frühlingshimmel. Der Lastkahn bei Paris mit dem Strolch, der auf der Landstraße herumlungert. Und Monets blühende Apfelbäume, die den Hügel emporklettern. Und Renoirs strubbelige kleine Wilde und Berthe Morisots üppiges, frisches Unterholz, eine sitzende Frau, ihr Kind, ein schwarzer Hund, ein Schmetterlingsnetz. Und noch eine Morisot, ein Kindermädchen mit seinem Schützling - blau, grün, rosa, weiß, mit Sonnenflecken. Und die anderen Renoirs, die Pariserin mit den roten Lippen und dem blauen Jersey. Und diese unbekümmerte Frau mit dem Muff und der Lackrose im Knopfloch … Und die Tänzerin mit den nackten Schultern von Mary Cassatt in Gelb, Grün, Blond, Rostrot auf dem roten Fauteuil. Und die nervösen Tänzerinnen von Degas, Duranty von Degas - und natürlich Manets Polichinelle mit Banvilles Versen!
    Ah! Die süßen Stunden, die ich dort verbrachte, als ich mich über den Tabellen des Albert Dürer verlor, träumte … in Ihrem hellen Zimmer, wo der Farbton des gelben Lehnstuhls aufleuchtet, so gelb, so gelb.«
    »Albert Dürer et ses dessins« war Charles’ erstes wirkliches Buch, ein Buch, das ihn quer durch Europa hatte »vagabundieren« lassen.
    Laforgue, einundzwanzig Jahre alt und ein Neuling in Paris, war ihm als Sekretär empfohlen worden, er sollte die Listen, Berichtigungen, Anmerkungen zu zehn Jahren Studium durchgehen und daraus Appendices, Tabellen und Register für die Veröffentlichung zusammenstellen. Für Laforgue war Charles in seinem chinesischen Morgenrock ein betörender Gönner in einer betörenden Umgebung.
    Auch ich bin ziemlich aus dem Häuschen, denn bevor mir in einem Buch über Manet eine Fußnote unterkam, hatte ich keine Ahnung, dass Laforgue für Charles arbeitete: Laforgue, der wunderbare Dichter der Städte, der regenfeuchten Parkbänke, der Telegraphendrähte an verlassenen Landstraßen.
    Charles ist kein gehetzter junger Mann mehr. Er ist nun der »benediktinische Dandy aus der Rue de Monceau«, ein Wissenschaftler im schwarzen Rock, dabei Flaneur, mit leicht schräg sitzendem Zylinder; jemand, der seinen Spazierstock mit einem Gefühl für Korrektheit und amour propre unter dem Arm trägt. Jemand, der einen Kammerdiener beschäftigt, damit der Hut auch gebürstet ist. Jemand, da bin ich mir sicher, der niemals Sachen in seinen Jacketttaschen getragen und damit den Sitz der Kleider beeinträchtigt hätte. Wir sehen ihn als Dreißigjährigen mit seiner Geliebten in seiner neuen Rolle als jüngst bestellter Herausgeber der Gazette und erkennen, dass er Selbstsicherheit erlangt hat. Er ist ein mondäner Kunsthistoriker mit einem Sekretär. Und er sammelt, nicht nur Netsuke, auch Bilder.
    In diesem Zimmer wirkt er so lebendig. Diese Farben - das Schwarz seines Rocks, seines Zylinders, der rötliche Schimmer in seinem Bart - vor dem Strom phantastischer Bilder, die vor der lodernden Helligkeit des gelben Lehnstuhls an Leuchtkraft gewinnen. Das Arbeitszimmer eines Mannes, so stellt es man sich vor, der Farbe nicht nur braucht, sondern auch sein Leben darum herum errichtet. Ein Mann, der in der

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