Der Hase mit den Bernsteinaugen
Rue de Monceau untadelige Uniform, rabbinisches Schwarz, trägt und hinter der Tür seines Studierzimmers ein anderes Leben führt.
Welche Art Studien konnte man in einem solchen Zimmer überhaupt betreiben?
Jules Laforgue begann am 14. Juli 1881 für Charles zu arbeiten. Den ganzen Sommer über war er in diesem Arbeitszimmer tätig, halbe Nächte hindurch. Mit einiger Missbilligung bemerke ich, dass sein jüdischer Mäzen ihn sehr schlecht bezahlte. Durch Laforgues Augen sehen wir, wie Charles sein Buch fertigstellte: »Stein für Stein haben Sie langsam und sorgfältig die Pyramide errichtet, auf dem Ihr schönes bärtiges Monument stehen wird.« Auf einen Zettel mit Randbemerkungen hat Laforgue eine Skizze von ihnen beiden gekritzelt. Laforgue, winzig, mit hochgebauschtem Haar, geht voraus, die Arme in die Seiten gestemmt, er bläst Rauchwolken vor sich hin, hinter ihm ein liebenswürdig-eleganter, aufrechter, hochgewachsener, monumentaler Charles mit einem assyrischen Profil. Er ist sehr stattlich geworden.
Laforgue bewundert ihn, neckt ihn aber auch. Er will sich an dieser seiner ersten Stelle unbedingt bewähren. »Und was haben Sie nun vor, o benediktinischer Dandy aus der Rue de Monceau? Ich sehe immer die Inhaltsangaben von Gazette und Art. Was hecken Sie aus zwischen Monets Grenouillere, Manets Constantin Guys und den … bizarren Archäologien Moreaus - sagen Sie es mir.«
Laforgue richtet »unserem« Zimmer seine Grüße aus, er sendet »Grüße an den Monet - Sie wissen, welchen«. Sein Sommer mit Charles ist eine Begegnung mit dem Impressionismus, eine Begegnung, die von ihm fordert, eine neue poetische Sprache zu finden. Er versucht eine Art Prosagedicht, nennt es »Guitare« und widmet es Charles. Aber diese Beschreibungen von Charles’ Arbeitszimmer sind ja selbst Prosagedichte: Da sind die Mischungen der präzise gesehenen Farbkleckse - »la tache coloree« -, der gelbe Lehnstuhl, die roten Lippen und der blaue Sweater des Renoir-Mädchens. Die Briefe, ein wildes Durcheinander von Sinneseindrücken, ideengesättigt, nähern sich Laforgues Beschreibung des impressionistischen Stils als eines, in dem Betrachter und Betrachtetes eng miteinander verwoben sind: »irremediablement mouvants, insaisissables et insaissants«.
Charles hing sehr an Laforgue. Nach dem langen Sommer in Paris kümmerte er sich darum, dass der junge Dichter in Berlin eine Anstellung als Französisch-Vorleser der Kaiserin erhielt - Charles hatte auf beiläufige Art bemerkenswerte Beziehungen -, er schrieb ihm, schickte ihm Geld, gab ihm Ratschläge, kritisierte seine Buchbesprechungen und half Laforgue, veröffentlicht zu werden. Charles behielt mehr als dreißig Briefe von Laforgue aus dieser Zeit; nach dem frühen Tod des Dichters an Tuberkulose veröffentlichte er sie in der Zeitschrift La Revue blanche.
In diesen Briefen spürt man das Zimmer. Hier wollte ich mit den Netsuke sein, doch ich fürchtete, nie über ein kennerhaftes Inventar des prunkvollen Mobiliars in Charles’ Wohnung hinauszukommen. Ich wusste nicht, wie ich ein Leben einzig und allein aus Gegenständen rekonstruieren sollte. So wie Laforgues Schriften quillt das Zimmer über von unerwarteten Konjunktionen und Disjunktionen. Ich kann die ausufernden nächtlichen Gespräche der beiden hören, und nun bin ich endlich hier.
Alles in diesem Salon ist gesteigerte Emotion. Schwer, sich nicht lebendig zu fühlen an einem Ort, der so gesättigt ist von Bildern von Freiheit und Müßiggang, von Tagen auf dem Land, von jungen Frauen, einem Zigeunermädchen, Badenden in der Seine, einem Vagabunden auf einer Landstraße ins Nirgendwo, einem prachtvollen Faun, umrahmt von Stickereien, und all den kuriosen, witzigen, so angenehm anzufühlenden Netsuke.
Monsieur Elstirs Spargel
Ich sitze wieder in der Bibliothek, zögere. Dürers Selbstbildnis, christusgleich, bärtig, langhaarig, starrt mich an, als ich Charles’ Buch »Albert Dürer et ses dessins« aufschlage. Es ist eine Herausforderung in diesem Blick. Ich habe unendlich viel Zeit damit verbracht, darüber nachzudenken, wie diese sorgfältig und fein gesponnenen Gedankenstränge, all die ordentlich ausgearbeiteten Tabellen und Listen in einem Arbeitszimmer mit Monets windgepeitschtem Sommertag an der Wand entstanden sein können.
Wenn ich Charles’ angeregte Beschreibung seiner Suche nach den verschollenen Dürer-Zeichnungen lese, kann ich die Emotion in seiner Stimme fühlen: »Um unsere Arbeit
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