Der Hase mit den Bernsteinaugen
seltsam, wie sehr Charles mit dem Proustschen Swann verflochten ist.
Immer wieder kommen mir Orte unter, wo Charles Ephrussi und Charles Swann sich überschneiden. Bevor ich meine Reise begann, wusste ich bloß, dass Charles eines der zwei wichtigsten Vorbilder für Prousts Protagonisten war - das weniger wichtige, wie es hieß. Ich erinnere mich an eine abschätzige Bemerkung über ihn (»ein polnischer Jude … beleibt, bärtig und hässlich, von schwerfälligem, ungelenkem Betragen«) in der Proust-Biographie von George Painter aus den 1950er Jahren und dass ich sie für bare Münze nahm. Das andere Rollenmodell, von Proust bestätigt, war ein charmanter Dandy und Clubman namens Charles Haas. Er war etwas älter, weder Schriftsteller noch Sammler.
Wenn jemand schon der erste Besitzer meines Wolfs sein soll, dann wünsche ich mir Swann - den Leidenschaftlichen, Geliebten, Anmutigen -, doch ich möchte nicht, dass Charles einfach im Quellenmaterial, in den literarischen Fußnoten verschwindet. Er ist für mich so real geworden, dass ich Angst habe, ihn in den Proust-Abhandlungen zu verlieren. Und Proust ist mir viel zu wichtig, um seine Romankunst in ein beliebiges Akrostichon der Belle Epoque zu verwandeln. »Für meinen Roman gibt es keinen Schlüssel«, sagte Proust immer wieder.
Ich versuche die eindeutigen Korrespondenzen zwischen meinem und dem fiktionalen Charles, ihrer beider Lebenslinien, aufzuzeichnen. Ich sage eindeutig, doch als ich sie aufzuschreiben beginne, wird eine ganz schöne Liste daraus.
Sie sind beide Juden. Sie sind hommes du monde. Ihr gesellschaftlicher Umgang reicht von gekrönten Häuptern (Charles geleitete Queen Victoria durch Paris, Swann ist ein Freund des Prince of Wales) über die Salons bis in die Künstlerateliers. Sie sind Kunstliebhaber und begeistern sich beide für die Werke der italienischen Renaissance, vor allem Giotto und Botticelli. Sie sind Experten für das arkane Thema venezianischer Medaillons des 15. Jahrhunderts. Sie sind Sammler, Mäzene der Impressionisten, beim Bootsausflug eines Malerfreundes im Sonnenschein wirken sie beide fehl am Platz.
Beide verfassen sie Monographien zu Themen der Kunst: Swann über Vermeer, mein Charles über Dürer. Sie benutzen ihre »Kunstgelehrsamkeit … die Damen der Gesellschaft beim Ankauf von Bildern und bei der Ausstattung ihrer Stadtvillen zu beraten«. Ephrussi wie Swann sind Dandys, und beide sind sie Ritter der Ehrenlegion. Sie haben den Japonismus abgelegt und sich dem neuen Geschmack am Empire zugewandt. Und sie sind beide Dreyfusards, die erkennen, dass in ihren sorgfältig aufgebauten Lebensläufen durch ihr Jüdischsein ein tiefer Riss klafft.
Proust spielte mit der gegenseitigen Durchdringung von Realem und Erfundenem. Seine Romane zeigen ein Spektrum aus historischen Personen, die als sie selbst auftreten - zum Beispiel Madame Straus und Prinzessin Mathilde - und mit Personen Umgang haben, die anhand erkennbarer Figuren neu erfunden wurden. Elstir, der große Maler, der seine Besessenheit vom Japonismus abstreift, um Impressionist zu werden, hat Züge von Whistler und Renoir, aber eine zusätzliche Dynamik. Auf ähnliche Weise stehen Prousts Charaktere vor realen Bildern. Die visuelle Textur der Romane ist gesättigt nicht nur von Anspielungen auf Giotto und Botticelli, Dürer und Vermeer, dazu Moreau, Monet und Renoir, sondern auch vom Betrachten von Bildern, vom Sammeln und der Erinnerung daran, wie das war, etwas zu sehen, mit der Erinnerung an den Augenblick des Begreifens.
Swann fallen Ähnlichkeiten gleichsam en passant auf: Odette gleicht einem Botticelli-Bild, das Profil eines Lakais auf einem Empfang einem Mantegna. Auch Charles ging es so. Ich möchte wirklich wissen, ob meine so gepflegte, so propere Großmutter in ihrem gestärkten weißen Kleidchen auf den Kieswegen im Schweizer Chalet jemals verstanden hat, warum Charles sich niederbeugte, das Haar ihrer hübschen Schwester zerstrubbelte und sie mit seinem Zigeunermädchen von Renoir verglich.
Wenn ich Swann begegne, ist er witzig und charmant, doch reserviert, wie »ein versperrter Schrank«. Er bewegt sich durch die Welt und danach sind die Menschen wacher gegenüber jenen Dingen, die er liebt. Ich denke daran, wie der junge, in Swanns Tochter verliebte Erzähler ihn zuhause besucht und mit solcher Höflichkeit empfangen, wie er in die Weihen seiner Sammlung eingeführt wird.
Das ist mein Charles, der sich so sehr bemüht, seine Bücher oder
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