Der Hase mit den Bernsteinaugen
noch immer. Seine Leidenschaft für das Japanische war allmählich überholt. Der Kult war inzwischen so weit verbreitet, dass in den 188oern die Häuser voller Japonaiseries waren: Sie wurden jetzt als Nippes betrachtet, die sich wie Staub auf jeder nur erdenklichen Oberfläche niederließen. »Alles ist jetzt japanisch«, meinte Alexandre Dumas 1887: Zolas mit japanischen Objekten vollgestopftes Haus außerhalb von Paris galt als leicht lächerlich. Es war schwieriger geworden, deren besondere Qualitäten zu würdigen, seit sie Mainstream geworden waren, seit Werbeplakate für Fahrräder oder Absinth, die an den Bretterwänden flatterten, japanischen Holzblockdrucken nachempfunden waren. Doch es gab immer noch ernsthafte Sammler japanischer Kunst - etwa Guimet, der in der Nachbarschaft lebte - und viel mehr kunsthistorisches Wissen als während des Booms zehn Jahre zuvor. Goncourt hatte seine Arbeiten über Hokusai und Utamaro veröffentlicht, Siegfried Bing gab seine Zeitschrift Le Japan artistique heraus, doch in Charles’ modischen Kreisen las man so etwas nicht mehr so eifrig wie früher.
Proust berichtet von diesem Moment des Übergangs anhand des Salons der Geliebten Swanns, der Halbweltdame Odette: »Im übrigen trat in der künstlerischen Unordnung, in dem atelierhaften Durcheinander … Ostasien mehr und mehr hinter dem Rokoko zurück … Immer seltener empfing Odette ihre Intimen in japanischen Kimonos, an deren Stelle helle Peignoirs im Stile Watteaus traten.«
Das war ein Wandel der Exotismen, den man an Charles, dem Kritiker, Sammler und Kurator beobachten konnte. Ein Journalist schrieb, Charles habe begonnen, »sich allmählich von [Japan] zu lösen und sich mehr und mehr dem französischen 18. Jahrhundert zuzuwenden, den Erzeugnissen Meißens und des Empire, wovon er ein Ensemble von Werken höchster Qualität besitzt«. In seinem neuen Haus ließ Charles im Arbeitszimmer mit Silberfäden durchschossene Wandteppiche aufhängen, die Szenen aus Kinderspielen zeigten. Zudem schuf er eine Reihe ineinander übergehender Räume, eine Enfilade, die er mit Gruppen zartfarbiger Empiremöbel mit Bronzebeschlägen einrichtete, darauf Porzellangarnituren aus Sevres und Meißen: auch hier genau abgestimmte Rhythmen. Und dann hing er seine Moreaus, Manets und Renoirs auf.
Bei Proust schwärmt die Herzogin von Guermantes von solchen klassizistischen Möbeln, die sie im Haus des Herzogs d’Iena gesehen hat: »… was da alles in unsere Häuser eindringt, Sphinxen, die sich an den Füßen unserer Sessel niederkauern, Schlangen, die sich um Kandelaber winden … dann all diese pompejanischen Leuchten, die kleinen Ruhebetten in der Form eines Bootes, die aussehen, als habe man sie auf dem Nil entdeckt«. Auf einem Bett findet sich das Relief einer Sirene, sie sehe aus, so meint sie, wie von Moreau.
In diesem neuen Haus ersetzt Charles sein lit de parade durch ein Empirebett. Es ist ein lit à la polonaise, ein Bett im polnischen Geschmack mit Seidenvorhängen.
In einem Pariser Antiquariat finde ich die Verkaufskataloge von Teilen der Kunstsammlungen Michels und Maurices, die nach ihrem Tod zerstreut wurden. Ein Händler hatte für die Uhren geboten, ohne Erfolg, und bei jedem Stück den Ausrufepreis notiert: 10780 Francs für eine astronomische Uhr aus der Zeit Ludwigs XV. mit eingelegten bronzenen Tierkreiszeichen. All das Porzellan, die Savonnerie-Teppiche, die Gemälde von Boucher, die Boiserien und Gobelins künden vom Bedürfnis der Familie Ephrussi, sich nahtlos in die Gesellschaft einzufügen. Und mir wird allmählich klar, dass Charles’ neuer Geschmack an Empire-Bildern und -Mobiliar, während er sich den Mittvierzigern näherte, mehr war als nur die Kreation eines Ensembles, in dem er leben wollte. Es war auch der Anspruch auf ein essenzielles Franzosentum, auf ein wirkliches Dazugehören. Und vielleicht auch eine Möglichkeit, den Abstand zwischen den ersten, allzu heterogenen Räumen und seinem Leben als Kunstautorität und Fachmann in Stilfragen zu vergrößern. Empire ist nicht le goüt Rothschild, es ist nicht jüdisch. Es ist französisch.
Mich würde interessieren, wie die Netsuke hier gewirkt haben: In diesen formellen Räumen beginnt Charles sich von ihnen abzuwenden. Seine Zimmer in der Rue de Monceau hatten ihren »optischen Katechismus« nicht gelernt; der gelbe Lehnstuhl war wie ein Schnitt quer hindurch. Es gab Ansammlungen verschiedener Dinge, die man aufnehmen und befühlen konnte.
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