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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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Doch ich spüre, dass Charles vornehmer wird. Ein geistreicher Pariser nennt ihn nun den »opulenten Charles«. Es gibt weniger anzufassen: Man würde es nicht wagen, die Meißner Vasen von ihren Bronzesockeln zu nehmen und zur Betrachtung herumzureichen. Nach Charles’ Tod beschrieb ein Kritiker die Einrichtung dieser Räume als das Beste seiner Art: Sie seien »pompeux, ingenieux et un peu froids«, grandios, geistreich und ein wenig kalt. Kalt stimmt, denke ich, während ich verstohlen über die Samtkordel hinweglange und die Armlehne eines Empire-Fauteuils im Musee Nissim de Camondo in der Rue de Monceau befühle, alles im Interesse der Forschung.
    Die Vorstellung fällt mir zunehmend schwer, wie die Vitrine aufgeschlossen wird und eine Hand unschlüssig über den Netsuke schwebt, ob sie sich ein Gewusel aus Elfenbeinhündchen nehmen soll oder ein Mädchen, das sich in einem hölzernen Badezuber einseift. Ich bin nicht sicher, ob sie überhaupt hierherpassen.
    In ihrem neuen Haus gaben die Brüder größere Diners und Abendgesellschaften. Am 2. Februar 1893 berichtet Le Gaulois in seiner Kolumne »Mondanites«: »Sehr brillantes Five o’clock letzten Abend bei MM. Charles und Ignaz Ephrussi, zu Ehren der Prinzessin Mathilde.« Der Bericht fährt fort:
    »Um fünf Uhr erschien Ihre kaiserliche Hoheit, begleitet von Baronne de Galbois, in den prachtvollen Salons in der Avenue d’Iena, wo mehr als zweihundert Personen sich versammelt hatten, die obersten Ränge der Pariser und ausländischen Gesellschaft.
    Wir erwähnen willkürlich herausgegriffen:
    Comtesse d’Haussonville, in schwarzem Satin; Comtesse von Moltke-Hvitfeldt, ebenfalls in Schwarz; Princesse de Leon, in dunkelblauem Samt; die Duchesse de Morny, in schwarzem Samt; Comtesse de Louis de Talleyrand-Perigord, in schwarzem Satin; Comtesse Jean de Ganay, in Schwarz und Rot; Baronne Gustave de Rothschild, in schwarzem Samt … Comtesse Louise Cahen d’Anvers, in mauvefarbenem Samt; Mme. Edgard Stern, in Graugrün; Mme. Manuel de Yturbe, geborene Diaz, in lila Samt; Baronne James de Rothschild, in Schwarz; Comtesse de Camondo, geborene Cahen, in grauem Satin; Baronne Benoist-Mechin, in schwarzem Samt und Pelz, etc.
    Unter den Männern konnte man folgende bedeutende Persönlichkeiten bemerken:
    Der schwedische Minister, Prinz Orloff, Prinz de Sagan, Prinz Jean Borghese, Marquis de Modene, MM. Forain, Bonnat, Roll, Blanche, Charles Yriarte Schlumberger, etc.
    Mme Leon Fould und Mme. Jules Ephrussi begrüßten die Gäste, die eine in einem dunkelgrauen Kleid, die andere in Hellgrau.
    Die eleganten Räume wurden hoch gerühmt, besonders der prachtvolle Salon im Stil Louis XVI, wo man den Kopf des Königs Midas bewundern konnte, ein Wunderwerk von Luca della Robbia, und Charles Ephrussis Räumlichkeiten im reinsten Empirestil.
    Der Empfang war äußerst beschwingt, eine Zigeunerkapelle bot ein sehr schönes Musikprogramm dar.
    Prinzessin Mathilde verließ die Avenue d’Iena erst um sieben Uhr.«
    Der Abend war ein voller Erfolg für die Brüder. Wie es in der Zeitung hieß, war es ein kalter, klarer Vollmondabend. Die Avenue d’Iena ist breit, in der Mitte mit Platanen bepflanzt; ich stelle mir vor, wie die Kutschen der Besucher die Straße blockieren und aus der Wohnung Zigeunermusik dringt. Ich stelle mir Louise vor, eine rotgoldene Tizian-Frau in mauvefarbenem Samt, wie sie die paar Dutzend Meter zu ihrem riesigen Herrenhaus im Pseudo-Renaissancestil und zu ihrem Ehemann hinaufgeht.
    Ein »sehr brillantes Five o’clock« wäre im folgenden Jahr schwer zu veranstalten gewesen. 1894 »verließ der Jockey-Club«, wie der Maler J. E. Blanche formulierte, »die Tafeln der Fürsten Israel«.
    Es war der Beginn der Dreyfus-Affäre, zwölf Jahre, die Frankreich aufwühlten und Paris polarisierten. Alfred Dreyfus, ein jüdischer Offizier im französischen Generalstab, wurde beschuldigt, für Deutschland spioniert zu haben, und das alles aufgrund eines gefälschten Beweises, eines Zettels, den man in einem Papierkorb gefunden hatte. Er wurde von einem Kriegsgericht für schuldig befunden, obwohl es dem Generalstab klar war, dass es sich um einen gefälschten Beweis handelte. Dreyfus wurde vor einer tobenden Menge, die seine Hinrichtung verlangte, unehrenhaft aus der Armee ausgestoßen. Auf den Straßen verkaufte man Spielzeuggalgen. Dreyfus wurde auf die Teufelsinsel geschickt, um in Einzelhaft eine lebenslängliche Strafe abzubüßen.
    Unmittelbar darauf begann

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