Der Hauch von Skandal (German Edition)
all die Fehler zugeschrieben hatte, dir ihr bei David so zuwider gewesen waren. Vielleicht war das ungerecht, aber sie war im Moment nicht zu Großmut aufgelegt. Schließlich hatte er sich ihr gegenüber ja auch nicht großzügig gezeigt und ihr von Anfang an Antipathie entgegengebracht. „Sie können ganz beruhigt sein, was die Tugend Ihres Cousins betrifft“, teilte sie ihm mit. „An unreifen Jünglingen bin ich nicht interessiert, ganz gleich, was Sie denken.“ Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. „An Abenteurern übrigens auch nicht, so romantisch und geheimnisvoll sie auf andere vielleicht wirken.“ Sie straffte die Schultern. „Lord Grant, ich weiß nicht, was mein Mann Ihnen über mich erzählt hat, dass Sie eine solche Abneigung gegen mich hegen, aber Ihre Missbilligung und Ihr vorschnelles Urteil sind mir ziemlich gleichgültig.“
„David hat mir gegenüber nie von Ihnen gesprochen“, widersprach Alex. „Außer kurz vor seinem Tod.“
Joanna umfasste ihren Fächer so fest, dass sie die Streben knacken hörte. Sie sah, wie sich einige Gäste höchst indiskret in der Türöffnung zum Speisesaal drängten, um sich ja nicht die Szene zwischen Lady Joanna und ihrem vermeintlichen Liebhaber entgehen zu lassen. „Nun“, entgegnete sie spöttisch, „wenn David im Sterben gelegen hat, dann muss ja alles wahr sein, was er in dem Moment gesagt hat.“
„Vielleicht.“ Alex’ Mund war ein einziger, zorniger Strich. „Vielleicht sagen Sie mir ja, ob es wahr ist oder nicht. David riet mir, Ihnen niemals zu vertrauen, Lady Joanna. Er meinte, Sie wären hinterlistig und berechnend. Können Sie mir verraten, was Sie getan haben, dass Sie sich so sehr den Hass Ihres Ehemanns zugezogen haben?“
Ihre Blicke verfingen sich ineinander. Alex sah sie aus schmalen Augen finster an, und plötzlich hasste sie ihn ebenfalls, weil er ihrem treulosen, nichtsnutzigen Ehemann glaubte. Weil er Davids Worte für bare Münze nahm; weil er sie einfach verurteilte, ohne sie überhaupt angehört zu haben. Sie wollte sich ihm erklären, wollte es mit einer Leidenschaft, die sie selbst schockierte und ihr den Atem verschlug, aber sie wusste, sie konnte sich Alex Grant nicht anvertrauen, einem Mann, der für sie buchstäblich ein Fremder war. „Vertraue niemandem“ war ihre Maxime, wenn es um die Londoner Gesellschaft ging, und daran hatte sie sich gehalten seit jenem Tag, als sie als frischgebackene Braut Madame Ermines Schneiderei in der Bond Street betreten hatte. Dort hatte sie mit anhören müssen, wie sich zwei Frauen ungeniert und bis ins letzte skandalöse Detail über Joannas Privatangelegenheiten ausgetauscht hatten. An dem Tag hatte sie zum ersten Mal von Davids Untreue erfahren. Infolgedessen vertraute sie niemandem mehr ihre Geheimnisse an. Schon gar nicht dem engsten Freund und Verbündeten ihres verstorbenen Mannes.
„Sie gehen davon aus, dass ich diejenige bin, die sich im Unrecht befand“, sagte sie nun verbittert. „Es tut mir leid, dass Sie das glauben.“
Sie sah einen leisen Zweifel in seinem Blick aufflackern; zumindest bildete sie sich das ein. Doch dann war er auch schon wieder verflogen, und Alex schüttelte leicht den Kopf. „Das reicht mir nicht, Lady Joanna.“
Ihr Zorn gewann die Oberhand. Fünf lange Jahre hatten sie und David sich bis zu seinem Tod immer mehr auseinandergelebt, und sie hatte in all der Zeit ihren Kummer immer allein mit sich selbst ausgemacht. Dieser Mann versuchte nun, diesen Kummer ans Tageslicht zu zwingen und zerstörte damit den Schutzwall, den sie so mühsam um sich errichtet hatte.
„Nun, Lord Grant, es wird Ihnen reichen müssen“, gab sie zurück. „Ich schulde Ihnen nichts. Und da nichts von dem, was ich sagen könnte, Ihre Meinung ändern würde, spare ich mir lieber den Atem.“ Sie straffte sich. „Soweit ich mich erinnere, wollten Sie, dass ich unsere angebliche Affäre beende. Den Gefallen will ich Ihnen gern tun, und danach brauchen wir uns niemals wiederzusehen.“ Sie drehte sich zu der Eisskulptur um und brach das Schwert in der Hand des Mannes ab. Das Eis knackte äußerst befriedigend. Mrs Cummings’ Gäste hielten den Atem an. Joanna zerbrach das Schwert in zwei Stücke und reichte sie Alex. „Das ist es, was ich von Abenteurern und ihren erotischen Fähigkeiten halte“, sagte sie so laut, dass die ganze Gesellschaft sie hören konnte. „Es bleibt nur zu hoffen, dass Sie den Weg zur Arktis besser finden als den zum Herzen einer Frau, denn
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