Der Hauch von Skandal (German Edition)
Ehrendame.“
„Sie ist … was?“
„Sie unterstützt den Boxverein“, erklärte Purchase, „als dessen Maskottchen. Ich glaube, heute Abend findet ein Kampf statt.“
„Ein Maskottchen? Lady Joanna sieht sich Boxkämpfe an?“ Alex merkte selbst, dass er vor Fassungslosigkeit immer lauter gesprochen hatte.
„Der Sport ist sehr beliebt bei der Londoner Gesellschaft“, erklärte Purchase. „Der Duke of York ist heute Abend auch anwesend.“
„Und wenn der König selbst anwesend wäre!“, protestierte Alex. „So etwas schickt sich einfach nicht für eine Dame.“
„Das musst du Lady Joanna unbedingt sagen, wenn du sie siehst“, meinte Purchase freundlich und zwinkerte dem Schankmädchen zu, das sich auf Alex’ frei gewordenen Platz gesetzt hatte. „Dann wird sie sich bestimmt noch viel leichter überreden lassen, dass du sie nach Spitzbergen begleiten darfst.“ Er seufzte und griff wieder nach seinem Krug. „Viel Glück, Grant“, wünschte er. „Du wirst es brauchen.“
6. Kapitel
D a ist ein Gentleman, der Sie sprechen möchte, Madam.“ Daniel Brooke, der äußerst höfliche ehemalige Preisboxer, der nun als Geschäftsführer in Tom Belchers Gasthaus Castle Tavern arbeitete, trat in den kleinen Privatraum und verneigte sich vor Joanna. Das sah einigermaßen komisch aus, denn Brooke war ein kleiner, muskulöser und kahlköpfiger Mann, der beinahe ebenso hoch wie breit wirkte. Er war der jüngere Cousin von Jem Brooke, einem Mann, dem Joanna zu großer Dankbarkeit verpflichtet war. Jem, zu seiner Zeit ebenfalls ein Preisboxer, hatte sie für eine Weile vor Davids Zorn nach ihrem schrecklichen Streit um einen Erben beschützt. Am Morgen nach Davids Angriff war Jem mysteriöserweise bei ihr erschienen und hatte nur gesagt, ein Gentleman hätte ihn geschickt, um ihr zu helfen. Joanna hatte keine Ahnung gehabt, wer ihr edler Ritter gewesen war oder wie er von ihrer Situation erfahren haben konnte, aber Jem hatte sich als ihr Fels in der Brandung erwiesen. Seine Größe, Kraft und Geschick hatten sie gerettet, als David später am Tag ins Haus zurückgestürmt war, um seine ehelichen Rechte einzufordern. Jem hatte ihn mit einer Hand aus dem Haus geworfen.
Sobald David wieder zur See gefahren war und Joanna keinen Leibwächter mehr benötigt hatte, hatte sie Jem geholfen, eine eigene kleine Taverne in Wapping zu eröffnen, wo er nun außerordentlich köstliche Fischgerichte servierte. Irgendwann war sie ganz nebenbei der Liebling der Preisboxer geworden, ihre Gönnerin, ihr Maskottchen, ihre Ehrendame – und sie hatte es nie übers Herz gebracht, ihnen zu gestehen, dass sie das Boxen schrecklich fand und jede Form von Gewalt verabscheute, was angesichts ihrer Erfahrungen nicht weiter überraschend war.
Deshalb saß sie nun allein hier und nippte an einem Glas Dunkelbier, während im angrenzenden Saal, wo ein improvisierter Boxring aufgebaut worden war, gerade ein Kampf zwischen dem Champion Hen Pearce und einem neuen jungen Hoffnungsträger stattfand. Es war bereits ihr zweites Glas, und der ausgeprägte Malzgeschmack des Biers war wärmend und kräftig. Joanna trank nur selten Alkohol und dann für gewöhnlich Wein oder Champagner. Dieses Getränk war derber, aber es entspannte sie. Hinter ihr lag eine Woche mit schockierenden Enthüllungen, durch die die schlimmsten Ereignisse in ihrem Leben wieder aufgewühlt und ihre Empfindungen gnadenlos bloßgestellt worden waren. Ihre Nerven lagen blank, aber in diesem Gasthaus mit fünfzig Männern im Nebenraum, die sie bis aufs Blut verteidigen würden, fühlte sie sich für eine Weile seltsam geborgen.
Die Tür ging auf, und Joanna erschauerte, als ein Schwall Lärm zu ihr drang; das Geräusch, wenn Fleisch auf Fleisch prallte, das mitfühlende Aufstöhnen der Menge, weil der Jüngling wohl gerade einiges an Schlägen einstecken musste. Joanna hielt sich die Ohren zu.
Plötzlich merkte sie, dass Alex Grant vor ihr stand, wie immer tadellos aussehend in seinem recht salopp geschnittenen Abendanzug. Seine Lippen bewegten sich. Jo nahm die Hände von den Ohren.
„Was um alles in der Welt machen Sie in einem Gasthaus, in dem Boxkämpfe ausgetragen werden, wenn Sie diesen Sport gar nicht mögen?“, wollte er wissen.
Großartig. Innerhalb weniger Sekunden war es ihm gelungen, ihr Gefühl der Entspannung restlos zu vertreiben. „Woher wollen Sie wissen, dass ich ihn nicht mag?“, gab sie gereizt zurück.
„Sie sitzen hier ganz allein, halten sich
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