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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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dreizinkige Gabel und einen quer zum Stiel stehenden Löffel, und machte sich mit offensichtlich gutem Appetit über das Essen her, dazu trank er eine leuchtend rote, wie von innen strahlende Flüssigkeit aus einem gläsernen Pokal mit eingeschliffenen Mustern und einem geschwungenen Schnabel, den er sich in den Mund steckte. Schlangen die Chlmianer immer so, oder beeilte sich Xindy seinetwegen, dachte Jonas.
    „Ich habe einfach Hunger“, erklärte Xindy. „Du hast ja vorhin gegessen.“
    „Entschuldige“, sagte Jonas. „Hast du nichts zu essen in unserem Haus?“
    „Doch, aber nur Notverpflegung. Ich bin nicht gerade ein Feinschmecker, aber diese Tubenkonzentrate sind nicht mein Fall.“
    Er schob seinen Teller in die Mitte des Tisches, der Teller verschwand, und wie bei einem Tischleindeckdich erschien Sekunden später ein neuer, dieses Mal ein sechseckiger, sechsgeteilter, mit nicht weniger merkwürdigen Gerichten: qualligen, durchsichtigen Cremes in zarten grauen, braunen, grünen Farbtönen.
    „Ich versuche gar nicht erst, dir zu erklären, was das ist“, sagte Xindy, „einverstanden?“
    „Aber etwas anderes kannst du mir erklären“, meinte Jonas. „Ich habe nirgends ein Buch gesehen.“
    „Wir haben keine Bücher mehr.“
    „Nur Fernsehen und Videos?“ Jonas schüttelte den Köpf. „Ich weiß nicht, ich möchte die Bücher nicht missen.“
    „Es gibt auch bei uns noch Leute, die etwas Ähnliches wie eure Bücher haben, Sammler, Liebhaber – es ist ein aufwendiges Hobby. Ich nutze meine Zeit lieber anders. Mit Musik, zum Beispiel.“
    „Spielst du mir etwas vor?“
    „Ich weiß nicht…“
    „Bitte, bitte.“
    „Aber erst darf ich aufessen, ja?“
    „Stört es dich, daß, ich zusehe?“
    „Im Gegenteil, es ist sehr angenehm, nicht allein am Tisch sitzen zu müssen. Schade, daß ich dir nichts anbieten kann.“
    Jonas hätte auch von dem dritten und dem vierten Gericht, das Xindy serviert wurde, nicht kosten mögen. Die Landschaft rundum hatte sich inzwischen unmerklich verändert, der Himmel war dunkler geworden: Jonas bemerkte es erst, als die violette Sonne unter den Horizont tauchte. Er blickte nach oben. Auch auf dem Chlm war der Nachthimmel schwarz und voller Sterne, die Sternbilder ganz anders, klar, aber auch hier zeichnete sich die Milchstraße deutlich als breites Sternenband ab, und der Mond leuchtete als fahlblaue Sichel. Aber da rechts stand ja ein zweiter!
    „Zwei Monde?“ fragte Jonas verdattert.
    „Hinter dir ist noch einer.“ Jonas drehte sich um. Ein Vollmond. „Der Chlm hat sechs Monde“, sagte Xindy, „aber man kann nie mehr als vier gleichzeitig sehen, meistens nur drei. Und zwei Sonnen haben wir auch.“
    „Wirklich? Scheinen die gleichzeitig, oder habt ihr nur eine kurze Nacht?“
    „Es ist fast wie bei euch“, sagte Xindy. „Die eine Sonne ist weit entfernt, ihre Strahlen erreichen den Chlm kaum, nur im Sommer macht es sich bemerkbar. Wir kreisen mehr in der Nähe der anderen, verstehst du?“
    „Nein. Ich glaube, das ist zu kompliziert für mich“, gestand Jonas. „Ich habe bereits Schwierigkeiten mit der elliptischen Bahn unserer Erde. Aber ich würde gern Eure Musik hören, ihr liebt doch Musik?“
    „Da fahren wir am besten in mein Zimmer.“
    Wieder auf den „fliegenden Tellern“ den langen Gang hinunter. Als sie eine gelb markierte Tür passierten, kreuzte Xindy beide Arme über der Brust, seine Augenstiele senkten sich.
    Das Musikinstrument verblüffte Jonas. Er hatte zwar vermutet, daß so etwas auf dem Chlm anders aussehen würde als auf der Erde, aber dieses hier war eine mattschwarze Kugel mit feinen, silbrigen Härchen, die plötzlich aus der Decke kroch, herabsank und dicht vor Xindy in der Luft schwebte.
    Xindy lehnte sich zurück, schloß die Augen, spreizte die Finger und hob die Arme, als wolle er die Kugel umarmen oder streicheln. Er berührte sie nicht, aber sie begann sogleich zu raunen und summen, zu singen und klingen. Die Töne schienen das ganze Zimmer zu füllen, kamen von überallher, legten sich wie ein Helm um Jonas’ Kopf, drangen in seinen Körper ein, nahmen Besitz von jeder Nervenfaser, jedem Muskel, stimmten ihn traurig, todtraurig, die Tränen liefen ihm über die Wangen, dann kroch eine entsetzliche Angst seinen Rücken empor. Xindy merkte es, er brach ab, ließ die Kugel zur Decke steigen.
    „Tut mir leid“, sagte er.
    „Ist eure Musik immer so traurig?“
    „Die Kugel reagiert auf meine Stimmung, meine

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