Der Heilige Krieg
zum Wendepunkt im Leben des Propheten und markierte den Beginn der islamischen Zeitrechnung. »Schon von klein auf hatte Bin Laden bestimmte Verhaltensweisen des Propheten für sich zu übernehmen versucht. Er fastete an denselben Tagen und trug Gewänder, wie der Prophet sie wohl angehabt hatte«, beschreibt der US-Journalist Lawrence Wright die Selbststilisierung Bin Ladens. »Auf der realen Ebene war Bin Laden marginalisiert, war aus dem Spiel, doch innerhalb der Schutzhülle des Mythos, den er um sich gesponnen hatte, wurde er zur Verkörperung aller verfolgten und gedemütigten Muslime.«
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In den 1990er-Jahren herrscht in Afghanistan Bürgerkrieg, die Taliban erobern viele Regionen.
Im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan gibt es keine kontrollierbare Grenze; es wird beherrscht vom Stamm der Paschtunen.
Der Eremit lebte in Tora Bora in seiner eigenen Wirklichkeit; dennoch maßte er sich an, für die Muslime zu sprechen, als er im August 1996 eine »Kriegserklärung an die Amerikaner« verfasste. Die Anwesenheit von Amerikanern in Saudi-Arabien, dem Land der heiligen Stätten, sei »eine der schlimmsten Katastrophen, die den Muslimen seit dem Tode des Propheten widerfahren ist«. Und dann folgte eine eindeutige Drohung: »Euch zu terrorisieren, während Ihr in unserem Land Waffen tragt, ist legitim und unsere moralische Pflicht.« Diese Erklärung wurde in der
arabischen Welt von verschiedenen Medien publiziert. Auf CNN gab er 1997 das erste Interview gegenüber einem westlichen Sender, als ihn der legendäre Kriegsreporter Peter Arnett in den Bergen des Hindukusch besuchte. Bin Laden wurde konkret: »Wir glauben, dass die schlimmsten Diebe und die schlimmsten Terroristen der Welt heute die Amerikaner sind. Euch kann nichts aufhalten, außer vielleicht, wenn wir uns mit gleicher Münze rächen.« Arnett fragte zum Schluss den Mann, den in den USA kaum jemand kannte, ob er eine Botschaft für die Amerikaner habe: »Wenn das gegenwärtige Unrecht fortgeführt wird, wird sich der Kampf unvermeidlich auch auf amerikanischen Boden verlagern«, war die Antwort. Bin Ladens Erklärung für die echten und vermeintlichen Leiden der Muslime in aller Welt basierte auf einem völlig simplen Nenner: Amerika ist an allem schuld. Die Al-Qaida-Ideologie ging von einer universalen Verschwörungstheorie aus, die jeder verstehen konnte und die viele Muslime für glaubwürdig hielten.
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Kriegsreporter Peter Arnett (links) gelang es 1997, zusammen mit zwei Kollegen Bin Laden in dessen Versteck zu interviewen.
In Afghanistan traf er einen Kampfgefährten aus alten Tagen wieder. Der Ägypter Ayman al-Zawahiri, Anführer der Terrororganisation Al-Dschihad, war einer der wohl extremsten militanten Fundamentalisten. Er schloss sich nun Bin Laden an. Beide gemeinsam verschärften erneut die
Rhetorik. Im Februar 1998 gaben sie die Bildung einer »Internationalen Islamischen Front für den Dschihad gegen die Juden und die Kreuzzügler« bekannt. In einer arabischsprachigen Londoner Zeitung wurde ihre Erklärung abgedruckt, die eine Fatwa beinhaltete: »Die Amerikaner und ihre Verbündeten, ob Zivilisten oder Militärs, zu töten und zu bekämpfen ist die Pflicht jedes Muslims«, hieß es; verbunden war dies mit der Aufforderung, »gegen die amerikanischen Satanssoldaten und ihre Verbündeten des Teufels zum Angriff überzugehen«. Auch der Imam der »Moschee des Propheten« in Medina forderte den Abzug der Amerikaner aus Saudi-Arabien. Dies verschaffte Bin Laden die willkommene Unterstützung religiöser Autoritäten. Er wusste, dass er sich auf weitverbreitete Ressentiments unter Muslimen gegen die US-Truppenpräsenz im Nahen Osten stützen konnte.
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Ayman al-Zawahiri (links) und Osama bin Laden vereinen 1998 in Afghanistan ihre islamistischen Terrorgruppen.
Am 7. August 1998 explodierte vor der US-Botschaft in Nairobi ein Toyata-Truck, der mit 1000 Kilogramm TNT beladen war. Die Sprengwirkung riss dem Gebäude fast die gesamte Fassade ab. Der Asphalt der Straße, die an dem Komplex vorbei in der Innenstadt von Nairobi verlief, brannte. Die Druckwelle schleuderte Millionen von Glassplittern in die Umgebung – sie zerfetzten alles, auf das sie trafen. 213 Menschen starben an diesem 7. August 1998, 4500 wurden verletzt, 150 erblindeten durch Glassplitter. Bis auf zwölf Amerikaner waren alle Opfer Kenianer. Denen hatte Al-Qaida nicht den Krieg erklärt – aber sie bekamen zu spüren, dass die
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