Der Heilige Krieg
eingefallen; diese Türken haben von den Grenzen Romaniens [Byzanz] an die Gebiete der Christen mehr und mehr besetzt, die siebenfach besiegten Christen überwunden, wobei sie viele töteten oder gefangennahmen, Kirchen zerstörten und das Reich Gottes verwüsteten«, so die Überlieferung
des Fulcher von Chartres. Und weiter habe Urban gesagt: »… wenn Ihr sie noch eine Zeitlang so gewähren laßt, werden sie die Gläubigen Gottes noch weiter überrennen.«
Hilfe für die »Mitbrüder« – damit waren die Christen der Ostkirche gemeint, die im byzantinischen Machtbereich lebten oder in Gebieten, die einst zu Byzanz gehörten, aber von den Muslimen erobert worden waren.
Eigentlich war die Christenheit in dieser Zeit gespalten: in die römischkatholische und die griechisch-orthodoxe Kirche: Letztere hatte ihr Zentrum in Konstantinopel. Wiederholt machten sich kirchliche und weltliche Herrscher und Würdenträger beider Hemisphären den Rang streitig, erkannten sich gegenseitig das Recht ab, für die Christenheit zu sprechen, exkommunizierten einander sogar oder belegten sich mit dem Bann. Doch die Bedrohung von außen durch die islamische Welt schien die Spaltung in den Hintergrund zu drängen. Während die westliche Christenheit ihren Machtbereich gegen die Muslime in Spanien und Italien behaupten oder sogar wieder erweitern konnte, hatte das einstige Weltreich der Byzantiner nahezu sein gesamtes Territorium in Kleinasien und im Nahen Osten verloren. Das Imperium, das aus der Osthälfte des zerfallenden Römischen Reiches hervorgegangen war, blutete in ständigen Verteidigungskriegen gegen den Islam aus. Nur so ist es überhaupt zu erklären, dass von Konstantinopel aus ein Hilferuf an den Rivalen in Rom erging. Ein Gesandter des byzantinischen Kaisers Alexios übermittelte das Ersuchen dem Papst auf der Synode von Piacenza 1095. Der zögerte nicht, zeigte doch die Bitte des byzantinischen Kaisers, dass er den Papst als mächtigsten Mann der Christenheit anerkannte. Und schon bald formulierte Urban in Clermont seinen dringlichen Appell, die Glaubensbrüder zu unterstützen und die heiligen Stätten zu befreien, wobei er dabei mit bedrohlich klingenden Metaphern offenbar nicht sparte – auch nicht, als er das Bild vom Gegner, den Muslimen, zeichnete: »O welche Schande, wenn eine so verabscheuungswürdige Menschenart, verkommen und Dienerin der Dämonen, das Volk des allmächtigen Gottes, das mit der Gabe des Glaubens beschenkt ist und im Namen Christi erstrahlt, in dieser Weise überwältigt.« So drängte der Papst zum Handeln: »Darum ermahne ich Euch flehentlich, nein, nicht ich, sondern der Herr ermahnt Euch als Herolde Christi, dass Ihr allen Menschen jeglichen Stan-des
… ratet, bei der Vertreibung dieses nichtswürdigen Stammes aus unseren Gebieten den Anbetern Christi rasch zu helfen.«
Bild 56
Auf dem Konzil von Clermont 1095 bekräftigte Urban II. auch den Bann gegen den ehebrecherischen König Philipp I. von Frankreich (Bildmitte).
Auf die verschiedenen Überlieferungen der Rede von Clermont wurde schon hingewiesen. Dramatischer noch als in anderen Quellen klingen Urbans Worte nach den Aufzeichnungen von Robert von Reims, dem Mönch; bei ihm ist von schlimmsten Gräueltaten der Muslime die Rede. Sie seien ein gottloses Volk, das raube, senge, brenne, die Altäre besudele, Frauen schände, Menschen dahinschlachte.
Was auch immer der Papst gesagt oder der Chronist ihm nachträglich in den Mund gelegt haben mag – dass die Rede Urbans die Gemüter der in Clermont anwesenden Zuhörer in Wallung brachte, ist sicher.
Und wie gestaltete sich die Lage im Heiligen Land tatsächlich? Seit mehr als viereinhalb Jahrhunderten stand Jerusalem unter muslimischer Herrschaft, das Byzantinische Reich war in der Tat immer wieder Angriffen ausgesetzt. Doch drohten der Christenheit weder eine Invasion noch die Vernichtung durch den Islam. Im Westen wurden die muslimischen Mächte um 973 weiter in den spanischen Raum zurückgedrängt, 1091 von Sizilien vertrieben. Vielleicht hatten die Boten aus Byzanz bewusst übertrieben. Grundsätzlich waren einheimische Christen unter islamischer Herrschaft zwar Unterworfene, sie genossen aber den Schutz islamischer Gesetze, mussten Steuern entrichten und konnten ihren Glauben – wenn auch eingeschränkt – praktizieren. Natürlich gerieten auch sie in die Strudel von Machtkämpfen muslimischer Herrscher untereinander und wurden hier und dort auch Opfer von
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